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rausch · Wiener Zeitschrift für Suchttherapie

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2012-1

Just Married
Wolfgang Pabst

Editorial
Martin Poltrum

Ein (Glücks)Spiel in 4 Akten - Vom Sinn und Unsinn der Geldverwaltung bei Spielsüchtigen 
Gerlinde Blemenschitz

Pathologisches Lottospielen - "Ein Traum, der dreimal pro Woche zerplatzte"
Birgit Oitzinger

Rien ne vas plus: Dostojewskis Spielsucht
Bert Kellermann

"Player tracking" und "player control" - wie kognitive Fehlschlüsse von Spielbetreibern gezielt genutzt werden
Aron Kampusch

Glücksspielwerbung in Österreich - eine Analyse von Inhalt und Form
Irene Schmutterer

Spielsuchtprävention im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen und aktivem Spielerschutz
Oliver Scheibenbogen

Eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse des gewerblichen Geld-Gewinnspiels für die Bundesrepublik Deutschland
Franz W. Peren, Reiner Clement, Wiltrud Terlau

Nachrichten

 


Just Married

Die Häufigkeit und Überraschungseffekte außergewöhnlicher Verbindungen liegen in den Suchtszenen weit über Normal. Daher wird unsere Fusion wenig überraschen: Ab sofort erscheint das junge Journal rausch auch als Nachfolger der ehrwürdigen Wiener Zeitschrift für Suchtforschung. Die Paarung, so inkompatibel sie auf den ersten Blick erscheinen mag, ist schlüssig: Beide Journale sind

  • einem biopsychosozialen, teils geisteswissenschaftlichen Fokus verpflichtet
  • unabhängig vom Mainstream, von Therapieschulen, Interessengruppen, Konzernen usw.

Eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe aus Psychiatrie, Philosophie, Psychologie, Pharmazie, Soziologie und Sozialarbeit, alle auch tätig in der größten Suchtklinik Europas, dem Anton Proksch Institut Wien, haben dankenswerterweise die Herausgabe übernommen.

Herausgeber und Verlag sind mit internationalen Netzwerken relevanter AutorInnen verbunden: Persönlichkeiten, die Dank wissenschaftlicher Qualifikation, praktischer Erfahrung und therapeutischer Empathie Hilfreiches beizutragen haben.

Unser mittelständischer Verlag publiziert ein kompatibles, breites Programm von Zeitschriften, Büchern, elektronischen Medien - u.a. aus der Forensik, Medizinischen Psychologie, Psychiatrie, Psychoanalyse, Rehabilitationswissenschaft, Verhaltenstherapie.

Illusionen Süchtiger und oft auch ihrer Bezugspersonen mögen mehr als ein Weltall füllen. Doch auch Nüchterne protegieren erstaunliche Illusionen: etwa die deutsche Bundesregierung, die konstant bei der Heroinsubstitution Drogenabstinenz als Therapieziel postuliert. Und ganz alltäglich: Wer Alkohol trinkt, meint, sie/er mache sich damit attraktiver; auch wenn das Bier oder der Wein völlig alkoholfrei ist, die Person dies jedoch nicht weiß, neigt sie zu dieser Illusion (s. S. 56 dieser Zeitschrift).

Wir neigen gemeinsam mit den Herausgebern zu dem Wunsch, rausch möge positive Entwicklungen in der Suchttherapie verstärken. Ob auch dieses Ziel nur im Spiel der Illusionen zirkuliert, werden die LeserInnen und AutorInnen mitentscheiden.

Wir freuen uns auf Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Reaktionen (jeglicher Art).


Wolfgang Pabst (Verleger)
wp@pabst-publishers.com

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Editorial

Dass "jede Richtung des menschlichen Interesses süchtig zu entarten vermag," wie es bei F. E. v. Gebsattel heißt, wusste bereits die ältere Suchtforschung. Damit ist auch das Spiel, das den Menschen erst eigentlich zum Menschen macht, so steht es zumindest bei Schiller, nicht von der Möglichkeit ausgenommen, dass man sein Leben daran verlieren kann. Von den nicht an eine Substanzeinnahme gebundenen Süchten (z. B. Arbeitssucht, Kaufsucht, Sexsucht, Computersucht) ist das pathologische Spielen oder die Glücksspielsucht die am längsten bekannte und auch am meisten beforschte Sucht. Der klassische Verlauf ist dabei der, dass diese Abhängigkeit durch anfängliche Gewinne induziert und angestachelt wird, spätestens nachdem die ersten größeren Verluste und Verschuldungssituationen entstanden sind, der Versuch, das verlorene Geld zurück zu gewinnen das pathologische Spielen aufrechterhält und im Endstadium der Glücksspielsucht Gewinnen oder Verlieren nur mehr eine untergeordnete Rolle spielen und primär der Kick und Rausch gesucht wird, der das Spiel vermittelt. Wie bei allen Süchten, stellt sich auch hier die Frage nach der individuellen und kollektiven Verantwortlichkeit. Natürlich wird niemand zum Glücksspiel gezwungen und daher liegt die primäre Verantwortung im Falle einer Suchtentwicklung sicher beim Individuum. Dennoch ist es auch beim Glücksspiel so, dass der Staat durch Steuereinnahmen ähnlich wie im Falle von Alkohol und Tabak nicht unwesentlich mitverdient. Im Bereich des Glücksspiels werden daher die Stimmen nach stärkerer Reglementierung und Beschränkung dieses Geschäftszweigs und die Forderung nach Maßnahmen zum Spielerschutz gerade in der letzten Zeit immer lauter. Aus diesem Grund widmen wir die erste Nummer der neu gegründeten bzw. fusionierten Zeitschrift rausch der ganzen Palette des Phänomens der Glücksspielsucht. Vom Leid süchtiger Spieler und deren Angehörigen, den Problemen der Behandlung über die Analyse der Glücksspielwerbung bis hin zur Kosten Nutzen Kalkulation des Glücksspiels für die Wohlfahrt reichen dabei die Themenhorizonte.

Eröffnet wird das Heft durch drei Fallgeschichten. Am Beginn steht die vergleichende Analyse von zwei süchtig gewordenen Spielern durch Gerlinde Blemenschitz, die als Sozialarbeiterin beruflich u. a. mit der Schuldenberatung von pathologischen Spielern zu tun hat. Anhand der Fallskizze eines von ihr betreuten, stark verschuldeten Spielers und durch Einblenden und Zitate des um 1800 entstandenen Textes des französischen Schriftstellers Jakob Mauvillon, "Die Spielsucht. Ein Lustspiel in vier Acten" wird gezeigt, wie typische Spielsuchtverläufe aussehen können und wie das berufliche und private Umfeld der Betroffenen darauf reagiert. Im Beitrag wird aber auch der Frage nachgegangen ob bei extremer Verschuldung die Vermögensverwaltung durch Dritte (Sachwalterschaft), die in Österreich gesetzlich beantragt werden kann, z. B. durch Angehörige, eine sinnvolle Intervention darstellt.

Auf den Traum vom besseren Leben, der "dreimal pro Woche zerplatzte", der von einem pathologischen Lottospieler geträumte wurde, geht Birgit Oitzinger im Folgebeitrag ein. Die Entwicklung und der Verlauf der Abhängigkeit wird ebenso dargestellt wie die stationäre Behandlung des Patienten.

Die letzte Fallgeschichte des Heftes, die von Bert Kellermann stammt, thematisiert schließlich die Spielsucht Fjodor Michailowitsch Dostojewskis (1821-1881), die er in seinem Roman "Der Spieler" literarisch verarbeitete. Dostojewski glaubte in Wiesbaden, wo seine Spielsucht 1863 ihren Anfang nahm, ein Spielsystem entdeckt zu haben, mit dem er sicher gewinnen kann. Eine irrationale Überzeugung, die viele Spieler in den Ruin treibt. An seinen Bruder schrieb er damals: "Ich habe in Wiesbaden ein Spielsystem erfunden, habe es angewandt und sofort 10.000 Franken gewonnen. Am Morgen habe ich dieses System in der Aufregung abgewandelt und darauf sofort verloren. Am Abend bin ich wieder mit aller Strenge zu dem alten System zurückgekehrt und habe ohne jede Mühe wiederum ganz schnell 3000 Franken gewonnen.” Die irrationale Überzeugung, ein Glücksspiel kontrollieren zu können findet sich nicht nur bei Dostojewski und vielen anderen Spielern, sondern wird von Spielbetreibern auch gezielt angesteuert, um Umsätze und Gewinne zu maximieren.

Wie diese Überzeugungen bewusst geschürt werden, beschreibt Aron Kampusch, der, bevor er therapeutisch tätig wurde, 16 Jahre lang als Croupier in nahezu allen Casinos in Österreich arbeitete.

Mit welchen Lockmitteln und Versprechen die Glückspielwerbung verführt, wird von unserer Chefredakteurin, Irene Schmutterer behandelt. Die inhaltsanalytische Untersuchung, welche die Werbestrategien der großen Player am österreichischen Glücksspielmarkt zum Thema hat, geht u. a. der Frage nach, welche unterschiedlichen sozialen Schichten durch welche Form der Glücksspielwerbung besonders angesprochen werden.

Die öffentliche Debatte um den Spielerschutz hat in Österreich durch die Glückspielgesetz-Novelle 2010 neue Impulse bekommen. Ein Teil dieser Novelle sieht vor, dass sich Betreiber von Glücksspielen aktiv um den Spielerschutz kümmern müssen. "Freizeitspieler", die hin und wieder aus Spaß an der Freude spielen, sollen durch diverse Maßnahmen von pathologischen Spielern unterschieden und Letztere vor sich selber geschützt werden. Eine dieser Maßnahmen stellt z. B. die Implementierung eines Schulungskonzeptes für Mitarbeiter von Glücksspielanbietern dar, um Basisinformationen zum Thema Sucht zu erhalten und Kompetenzen im Umgang mit pathologischen Spielern zu erwerben.

Oliver Scheibenbogen, Mitherausgeber von rausch, war und ist konzeptionell an vorderster Front mit einem solchen Projekt betraut. In Zusammenarbeit zwischen dem Anton Proksch Institut Wien - der größten europäischen Suchtklinik - und einem österreichischen Glücksspielanbieter wurde dazu ein Spielsuchtpräventionskonzept ausgearbeitet und in der Praxis implementiert. Welche praktischen und ethischen Fragen sich daraus ergeben, wird im vorletzten Beitrag behandelt.

Aus dem Bereich der Alkoholsucht ist bekannt, das belegen viele Untersuchungen, dass ca. 2/3 der alkoholischen Getränke von süchtigen und problematischen Trinkern konsumiert werden. Ähnlich stellen sich die Dinge im Bereich der Spielsucht dar. Auch wenn die Zahl der Freizeitspieler um vieles höher ist als die Zahl der pathologischen Spieler, stammt der Hauptanteil des wirtschaftlichen Erlöses, den Glücksspielindustrie und Staat einnehmen, wahrscheinlich von problematischen und süchtigen Spielern.

Ob man sinnvoll berechnen kann, wieviel die Volkwirtschaft von der Glücksspielindustrie profitiert, und was der öffentlichen Hand durch Spielsuchterkrankungen für Kosten und Schäden erwachsen, sei dahingestellt. Ich würde das eher bezweifeln, nicht nur weil es sehr viele intangible Kosten in diesem Bereich gibt, die man nicht berechnen kann und darf, wie z. B. das persönliche Leid von Betroffenen und Angehörigen, sondern aus einem ganz einfachen anderen Grund: Gäbe es keine Glücksspielindustrie, würde das Geld der Spieler in einen anderen Freizeitbereich investiert oder anderweitig ausgegeben werden, damit gäbe es einen anderen Nutzen für die Volkswirtschaft. Auf der anderen Seite würden suchtanfällige Personen, die ihre Probleme über die Spielsucht kanalisieren, diese dann, wenn die Probleme unbewältigt blieben, in irgend einer anderen Form oder Sucht ausagieren und damit würden dann in diesem Bereich Kosten für die Volkswirtschaft anfallen. Das Suchtproblem, wenn man es psychodynamisch oder systemisch denkt, ist zu komplex, als dass man in Kosten-Nutzen-Kategorien darüber räsonieren könnte. Dennoch haben wir für alle Leser, die eine Vorliebe für Zahlenspiele haben und das "rechnende Denken" (M. Heidegger) schätzen, und auch um das Phänomen des Glücksspiels möglichst breit zu thematisieren, den Auszug einer Arbeit abgedruckt, die das deutsche Forschungsinstitut für Glücksspiel und Wetten, unter der Leitung von Franz W. Peren (Bonn) im Auftrag für die Deutsche Automatenwirtschaft verfasst hat.

Wie immer es auch um das Glücksspiel bestellt sein mag, wir hoffen, dass wir durch dieses Heft ein paar Einblicke in den Themenkomplex geben können und wünschen viel Freude beim Lesen. Darüber hinaus viel Glück und Spaß beim Spiel. Ach ja, im Übrigen kann und soll man das Leben selbst als Spiel sehen, wie Herman Hesse meinte.

"Gerade das ist es ja, das Leben, wenn es schön und glücklich ist, ein Spiel. Natürlich kann man auch alles andere aus ihm machen, eine Pflicht oder einen Krieg oder ein Gefängnis, aber es wird dadurch nicht schöner."

Herzlichst
Martin Poltrum


Dr. Martin Poltrum
Koordinator der Akademie des Anton Proksch Instituts
Philosoph und Psychotherapeut
www.philosophiepraxis.com
martin.poltrum@api.or.at

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