Der Psychotherapeut sieht die Intoleranz gegenüber Ungewissheit bei der generalisierten Angststörung, bei Zwangsstörungen, bei der sozialen Phobie, bei Hypochondrie, Panikstörung, Posttraumatischer Belastungsstörung, Depression und Autismus-Spektrum-Störungen.
"Neben der weit gestreuten klinischen Bedeutung geringer Ungewissheitstoleranz zeichnet sich am Horizont auch die Kontur eines möglichen transdiagnostischen Wirkmechanismus ab, über den sie zur Aufrechterhaltung der jeweiligen Störung beiträgt. Dabei gibt es Hinweise, dass sich die Intoleranz-Profile der einzelnen Diagnosen und ihr kognitiven Architekturen durchaus unterscheiden können.
Angesichts der großen Verbreitung und der funktionalen Rolle geringer Ungewissheitstoleranz kann man in ihr zu Recht einen transdiagnostischen Prozess mit therapeutischer Relevanz sehen, der mit speziell darauf zugeschnittenen verhaltenstherapeutischen Interventionen angegangen werden sollte. Neben kognitiven Umstrukturierungen spielen hier vor allem Ungewissheitsexpositionen eine große Rolle." Vor allem drei zentrale Überzeugungen lassen sich prüfen: "Ungewissheit ist gefährlich", "Ungewissheit belastet", "Ungewissheit macht handlungsunfähig."
Allerdings können Betroffene ihre TherapeutInnen auch stark fordern: Das hohe und starre Gewissheitsverlangen kann sich in der Behandlung als sperrig erweisen. "Das Ungewisse in der Psychotherapie löst häufig Vergewisserungsverhalten aus, birgt das Risiko geringer Zugänglichkeit für korrigierende Erfahrungen, bietet aber auch Ansatzpunkte für die Modellierung von Ungewissheitsintoleranz in den Therapiesitzungen selbst."
Nils Spitzer: Ungewissheitsintoleranz als transdiagnostischer Faktor psychischer Störungen.
In: Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin Nr. 1/2020
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