Bereits zu Beginn des Buchs überrascht Steiner mit einem Besuchsbericht: "Mein Treffen mit (dem NS-Rüstungsminister) Albert Speer 1975 endete in überraschender Harmonie. Er sprach über seine erste Verehrung und folglich große Liebe für die junge und schöne Frau, die seine Ehefrau wurde. Er ließ mich einige seiner Briefe und Gedichte lesen, die er für sie verfasst hatte. Er gab mir auch eine Kopie seines Tagebuchs zu lesen. Wie konnte eine Person mit einer solchen Liebes- und Zuneigungsfähigkeit in eine Massenvernichtung verwickelt werden? Was unterschied uns von ihm? Ein eher verstörender und beängstigender Gedanke."
Die Selbstdarstellungen der Täter spiegeln nicht die Realität wider und nicht einmal die ehrlichen Selbsteinschätzungen, sondern lediglich ein Selbstbild, das der Umgebung vermittelt werden soll. Daher ist die Interpretation en detail komplex. Sie entspricht immer wieder dem Bild der autoritären Persönlichkeit (sensu Erich Fromm): Menschen fürchten die Freiheit, bewundern die Autorität, begeben sich unter ihren "Schutz" und ihre Macht, d.h. avancieren gleichzeitig selbst zur (untergeordneten) Autorität. Daraus ergibt sich ein fragmentiertes Gewissen: Verantwortung wird nicht übernommen, sondern immer nach "oben" delegiert. Autoritäre Charaktere tendieren zu Intoleranz: Personen mit anderen Normen werden verurteilt und ggfs. bestraft.
Als Psychologe differenziert Prof. Dr. Jochen Fahrenberg die (nicht nur kleinbürgerliche) Charakteristik des autoritären Charakters. Als Pädagogin trägt Anne Fahrenberg das Kapitel "Täterforschung und Erziehungsreform" bei: "Erziehung nach Auschwitz fand kaum statt. Nur Erinnerung und Erziehung können neuen Furchtbarkeiten und Genoziden vorbeugen".
Jochen Fahrenberg, Anne Fahrenberg (Hrsg.) Täterforschung nach Auschwitz - John Steiners Untersuchungen.
Nachlass eines Auschwitz-Überlebenden
Pabst, 2022, 540 Seiten, Hardcover