Er empfiehlt, "das gesellschaftliche Corona-Management im Modell eines ´großen Regelkreises´ abzubilden. Aus dieser Sicht ist das Virus die ´Störgröße´ der Bevölkerungsgesundheit, deren Zustand über die Wissenschaft als ´Sensor´ erhoben und dann an die Politik als der große ´Regler´ mitgeteilt wird. Die Politik verfügt über Regulationsmaßnahmen, die als ´Effektor´ daraufhin wieder in die Bevölkerung eingebracht werden."
Kliniker sind am ehsten in der Lage, Patienten in ihrer biopsychosozialen Komplexität zu sehen. Dennoch übernahmen während der Pandemie Virologen die Wortführerschaft: "Hierbei werden offensichtlich einfache deterministische Kausalmodelle von Krankheit vertreten, ethisch-moralische Grenzen überschritten" und paternalistische Haltungen propagiert.
"Wissenschaftlich-methodologisch zeigt sich, dass ein Zahlen- und Daten-fixiertes Krisenmanagement problematisch ist, wenn nicht bedacht wird, für welche Systemzustände diese Zahlen als reliable und valide Indikatoren stehen, so dass sie als Steuerungsparameter des Gesamtsystems des ´großen Regelkreises´ dienen können. Datenanalytik ohne Pandemie-Theorie ist grundlegend nur begrenzt aussagekräftig. Eine fundierte und systematische Theorieentwicklung steigert die Transparenz und Praxisrelevanz.
Ein Schritt in diese Richtung wäre ein explizit multivariates Modell der Bedingungen des Corona-Problems und der Pandemie-Dynamik, statt immer wieder einen Faktor ins Spiel zu bringen, sodass die Verwirrung steigt. Eine gute Pandemie-Theorie würde die kognitive Ordnung steigern und adäquatere Steuerungsmaßnahmen ermöglichen. Ein differenziertes theoretisches Kausalmodell der Pandemie könnte gut begründet ein differentielles Lockdown-Management erlauben und wäre durch Vereinfachungen auch an Laien vermittelbar."
Tretter, Felix: Wissensgesellschaft im Krisenstress - Corona & Co.
Pabst, 2022, 306 Seiten, Paperback