Inhaltsverzeichnis
Editorial
Wolfgang Mastnak
Originalia und Übersichtsarbeiten
Integrated music therapy in patients with acquired brain injury (ABI) with predominant cognitive impairment
An exploratory pilot study of interdisciplinary neurorehabilitation care in the Day Hospital of the Department of Rehabilitation Medicine of the 1st Faculty of Medicine at Charles University in Prague
Markéta Gerlichová, Wolfgang Mastnak, Yvona Angerová,Sylva Klimošová & Maria Krivošíková
Musik- und Spieltherapie bei Fetaler Alkohol-Spektrum-Störung (FASD). Eine Pilotstudie
Julia Richter, Johanna Gerstner & Wolfgang Mastnak
Synergetische Musiktherapie auf der Basis russischer Philosophie und orthodoxer Tradition
Aleksandr S. Klujev [Александр С. Клюев]
Aleksandr Klujevs Synergetische Musiktherapie aus interdisziplinärer Perspektive
Wolfgang Mastnak
Dance – a viable means to treat diseases and to fight pandemics: A medical and cultural anthropological perspective
Wolfgang Mastnak
Wenn Gefühle Farben formen: Kunsttherapie und emotionsfokussierte Psychotherapie
Alexandra Daszkowski
Künstlerische Therapien – ein etablierter Begriff Ton-Psychologie und Multimodalität
Karl Hörmann
Bildstrecke
Wassily Kandinskys Inszenierung von Modest Mussorgskys
Bilder einer Ausstellung in bewegten graphischen Kompositionen
„Das Bild war in ständiger Bewegung“
Zu Kandinskys „Bildern einer Ausstellung“*
Gerald Köhler
Falldarstellungen und Praxisberichte
Keyboardunterricht für 90+
Ein musik-gerontagogisches Modell aus Japan
Suguru Agata & Wolfgang Mastnak
Essays und Interviews
Interview mit Manuela Widmer über Wilhelm Keller
Wolfgang Mastnak
Was ist Musiktherapie?
Ein Mikro-Führer durch den terminologischen Dschungel
Wolfgang Mastnak
Rezensionen
Robert Bering & Christiane Eichenberg (Hrsg.)
Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Herausforderungen und Lösungsansätze
für Psychotherapeuten und soziale Helfer (3. Auflage)
Elisabeth Drimalla
Sexuelle Funktionsstörungen. Leitfaden für die Psychotherapie und ärztliche Praxis
Sarah Guddat & Maik Voelzke-Neuhaus
Kunsttherapie im Rahmen der DBT. Skillsatelier für Patientinnen und Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
Andreas Hillert & Arnd Albrecht
Burn-out – Stress – Depression. Interdisziplinäre Strategien für Ärzte, Therapeuten und Coaches
Andreas Hillert
Gebrauchsanweisung für das Leben in der Postmoderne
Enrico Otto
Theaterarbeit als Teil der Stadtkultur. Ein Arbeitsmodell
Veranstaltungshinweis
Editorial
Prof. Dr. Dr. Dr. Wolfgang Mastnak
Integrierte Musiktherapie bei erworbener Hirnschädigung (ABI) mit kognitiven Störungen
Eine explorative Pilotstudie zur interdisziplinären neurorehabilitativen Tagesklinik
Zusammenfassung
Hintergrund und Ziel: Die Abteilung für Rehabilitationsmedizin der 1. Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität und das allgemeine Universitätsklinikum in Prag blicken auf eine zwanzigjährige Praxis intensiver Rehabilitation von Patientinnen und Patienten mit erworbener Hirnschädigung – etwa nach Schlaganfall – zurück. Allerdings blieben bis zum Jahr 2020 Personen mit einer ABI-Diagnose und minimalen oder keinen motorischen Defiziten, dafür aber erheblichen kognitiven Beeinträchtigungen als eigene, spezifisch definierte Klientel weitgehend unberücksichtigt. Im Oktober 2020 begann in Antwort darauf ein sowohl klinisches als auch forschungsorientiertes Programm, das dieses pathologische Profil in den Mittelpunkt rückte. Musiktherapie ist in der Neurorehabilitation der Prager Uniklinik traditionell gut etabliert und entsprechend auch ihre Rolle in diesem Projekt platziert. Forschungscharakteristik: Das vorliegende interdisziplinäre rehabilitative Tagesklinikprogramm wurde nach metasynthetischen Verfahren auf der Basis relevanter Theorien sowie klinischer Erfahrungen konstruiert und Ende des Jahres 2020 an der Abteilung für Rehabilitationsmedizin der 1. Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag installiert. Bevor es hier sinnvoll zu einer größer angelegten quantitativen Studie zur Abschätzung von Effektgrößen kommen kann, sind Untersuchungen mit Mixed-Methods-Charakteristik erforderlich, in die auch Richtlinien personalisierter Medizin wesentlich eingehen und die in der Lage sind, standardisierte Therapieverfahren mit individuellen Zugangsweisen für optimierte Therapieeffekte abzustimmen. Dieses Anspruchsprofil gab den Ausschlag für eine explorative Pilotstudie, die ein breites Wirkspektrum im Auge behält und sowohl spezifische Rehabilitationsparameter – etwa die Verbesserung kognitiver Fähigkeiten – als auch die Lebensqualität und das Selbstbild der Patientinnen und Patienten ins Kalkül zieht. Setting und Klientel: Das hier vorgestellte Rehabilitationsprogramm wurde an der Abteilung für Rehabilitationsmedizin der 1. Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag (Klinika rehabilitačního lékařství VFN a 1. LF UK, Prag Albertov) im Tagesklinik-Modus installiert und ist jeweils auf eine Interventionsdauer von vier Wochen ausgelegt. Die einzelnen Therapien werden täglich zwischen 8.30 Uhr und 15.30 Uhr durchgeführt und sind interdisziplinär ausgerichtet. Musiktherapie wird dabei als integrativer Teil eines therapeutischen Systems verstanden, das auch neuropsychologische Interventionen, Ergotherapie, förderpädagogische Maßnahmen, Kunsttherapie und Physiotherapie umfasst, wobei letztere insbesondere auch Dual-task-Trainings einbindet. Dieser interdisziplinäre Zugang ist allerdings flexibel gehalten und kann nuanciert an individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten angepasst werden. Damit soll eine optimale Balance zwischen rehabilitativem Progress und achtsamem Umgang mit der Persönlichkeit und dem Selbst-Profil von Patientinnen und Patienten ermöglicht werden. An der explorativen Pilotstudie nahmen sieben Frauen und drei Männer im Alter zwischen 26 und 78 Jahren (μ = 46) in vollem Umfang teil. Zwei Teilnehmende fielen während der Forschung aufgrund akuter Ereignisse aus. Von diesen zehn Patienten hatten fünf einen ischämischen Schlaganfall, drei davon dominant linkshemisphärisch und zwei multifokal. Drei weitere Patienten litten an schweren kranialen Traumata, zwei davon in multipler Ausprägung. Die letzten beiden Patienten hatten hypoxisch-ischämische Läsionen nach kardiopulmonaler Reanimation aufgrund von Herzstillstand im Zusammenhang mit Lungenembolie. Die Zeitspanne zwischen pathologischem Event und Beginn des hier vorgestellten Rehabilitationsprogramms betrug zwischen 5 und 25 Monaten. Rehabilitationsmaßnahmen während dieser Zeit sind als geringfügig einzustufen. Datengenerierung: Die Datengenerierung erfolgte im Hinblick auf die Kernsymptomatik kognitiver Beeinträchtigungen durch standardisierte Testbatterien für die jeweiligen Problemsektoren. Dabei bildeten eingehende psychologische Untersuchungen vor und nach der Teilnahme am Rehabilitationsprogramm die Eckpfeiler der Effektabschätzung. Im Unterschied zu Studien, die mit inferentieller Statistik arbeiten und beispielsweise Effektstärken und Trennschärfen berechnen, wurden in der vorliegenden Studie für jede Patientin und jeden Patienten individuell prä- und postinterventionelle Datenprofile erhoben. Diese umfassten insbesondere: differenzierte Gedächtnisleistungen (Immediate and Delayed Memory Task IMT/DMT), visuell-räumliche Funktionsfähigkeit (visuospacial functioning), Sprachverfügbarkeit und Sprachdefizite, Exekutivfunktionen, Aufmerksamkeit und Depressivität. Durch komparatistische Verfahren konnten ganzheitliche Veränderungen gegenüber Verbesserungen in den einzelnen Sektoren individualspezifisch abgeschätzt werden. Letzteres sollte insbesondere über unterschiedliches Ansprechen auf Interventionen und entsprechend unterschiedliche rehabilitative Benefit-Profile Aufschluss geben. Als Hauptmessinstrument zur Einschätzung des kognitiven Status kam die Short Neuropsychological Battery (SNB) zum Einsatz. Dieses im Testverlauf wiederholt einsetzbare Tool umfasst 17 Unterbereiche wie Arbeitsgedächtnis, Wiedererkennung, Aufmerksamkeit, exekutive und visuellräumliche Funktionen und sprachliche Skills. Nonverbales Problemlösen und Raumorientierung wurden mit einem Untertest der Wechsler Adults Intelligence Scale-III, dem Matrix Reasoning Inventar, gemessen. Zudem kam der 60-Item-Boston-Naming-Test zur Evaluation situationsbezogener Wortauffindung bei Personen mit Aphasie zum Einsatz. Depressions- und Angstsymptomatik wurden mit dem Beck Depression Inventory-II und dem State-Trait Anxiety Inventory (Teil X-1: state und Teil X-2: trait) gemessen. Zur Einschätzung der subjektiv empfundenen Belastungen durch die eigenen kognitiven Schwächen wurde die Cognitive Difficulties Scale mit den Antworten sowohl der Betroffenen selbst als auch ihrer nächsten Angehörigen herangezogen. Alle Tests wurden jeweils in ihrer tschechischen Fassung angewandt. Musiktherapeutische Intervention: Die vor allem trainingsorientierten musiktherapeutischen Aktivitäten zielten primär auf Verbesserungen der auditiven Fähigkeiten, der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses ab. Dabei kamen insbesondere kombinierte Modelle auf der Basis neurologischer Musiktherapie zum Einsatz. Manche Techniken wurden nach individuellen Bedürfnissen, Therapiezielen und musikalischen Affinitäten der Teilnehmenden neu entwickelt, im interdisziplinären Team besprochen und im Konsens zur Umsetzung verabschiedet. Die musiktherapeutischen Interventionen basierten dabei auf vier Säulen:
1) Gedächtnistraining durch Singen bekannter Lieder (Erinnerung), repetitives Lernen neuer Lyrics und zeitverschobene Abrufmechanismen, Deklamation tschechischer Reime aus dem Gedächtnis – auch zusammen mit rhythmischer Bewegungsimprovisation;
2) Rhythmusbasiertes funktionales Lesetraining mit Fokus auf Textverständnis und Abspeicherung;
3) Ausdruck und Symboldarstellung von Emotionen und Stimmungen durch Instrumental- und Bewegungsimprovisation einschließlich verbal-kommunikativer Reflexion;
4) Training hör- und körperorientierter Selbststeuerung von Konzentration und Entspannung.
COVID-19-Restriktionen: Aufgrund von phasenweise rigiden Lockdown-Maßnahmen in der Tschechischen Republik war Präsenztherapie teils nicht durchgängig möglich, was zum Angebot von Onlinetherapie führte. Zu ihrer Durchführung stellte das Klinikum Leih-Musikinstrumente zur Verfügung. Wenn patientenseitig die technische Ausstattung ausreicht und entsprechende Handlungskompetenzen, eventuell auch mit Unterstützung von Angehörigen, gegeben sind, so ist „remote therapy“ ein gangbarer Weg, der im Hinblick auf künftige Pandemien beziehungsweise eine medizinethisch gerechte Versorgung entlegener ruraler Gebiete noch weiter elaboriert werden soll. Die finanzielle Förderung seitens der Bayerisch-Tschechischen Hochschulagentur BTHA floss besonders in diesen innovativen und zukunftsorientierten Bereich ein. Ergebnisse: Hinsichtlich der neuropsychologischen Parameter (SNB) (i) unmittelbare und (ii) verzögerte Gedächtnisleitung, (iii) visuell-räumliche Orientierung, (iv) Sprache, (v) Aufmerksamkeit und (vi) Exekutivfunktionen ergaben sich in den vier Testgruppen der Studie die folgenden gesampelten Ergebnisse (Angabe der Daten in prä-/postinterventionell): –0.77/–0.03; –2.13/–2.21; –1.01/–0.76; –0.99/–0.34. Trotz einer deutlichen Tendenz zur Symptomverbesserung gab es ersichtliche Schwankungen, die deutlich für die Integration standardisierter und individualisierter Zugänge sprechen. Insgesamt sind die numerischen Daten sowohl mit den informellen klinischen Beobachtungen als auch mit den qualitativen Daten der Studie verträglich. Diskussion und Zukunftsperspektiven: Aufgrund der ausgesprochen ermutigenden Ergebnisse dieser explorativen Pilotstudie sind quantitative Arbeiten mit einem entsprechend großen Sample – insbesondere zur inferentiell-statistischen Abschätzung von Eff ektgrößen und Trennschärfen – angedacht. Zudem richtet das interdisziplinäre Team zur Zeit seinen Fokus auf die Exploration und Evaluation der subjektiven Rehabilitationsziele der Betroff enen, wobei das Goal Attainment Scaling (GAS) standardisiert-vergleichbare Daten liefern soll. Weitere musiktherapeutische Forschungsperspektiven umfassen störungsspezifi sche Optimierungen, individualmedizinische Modelle und multifaktorielle Wirkmechanismen. Neurorehabilitative Therapie von ABI-Patienten ist komplex, wobei interaktive Prozesse, individuelle Dispositionen und therapeutische Effi zienz eng miteinander verzahnt sind. In diesem Gesamt dürft e Musiktherapie eine zunehmend wichtige Rolle spielen. So sehr im medizinischen Metier quantitative Effi zienzmessungen unerlässlich sind, so sehr gehen sie an der Abhängigkeit der Musiktherapie von individuellen musiksensiblen Dispositionen vorbei. Das hebt die Bedeutung qualitativer Zugänge hervor, was die Erstautorin bereits in ihrer Doktorarbeit zur Musiktherapie eingehend beschrieben hat. In Zukunft dürften gerade in der neurologisch und neurorehabilitativ orientierten Musiktherapie Mixed-Methods massiv an Bedeutung gewinnen. Förderung: Die vorliegende Forschung wurde von der Bayerisch-Tschechischen Hochschulagentur/ Česko-bavorská vysokoškolská agentura/Bavarian-Czech Academic Agency (https://www.btha.cz/en/) als Zusammenarbeit zwischen der Abteilung für Rehabilitationsmedizin der 1. Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag und der Hochschule für Musik und Theater, München gefördert.
Schlüsselwörter: ABI (acquired brain injury), erworbene Hirnschädigung, funktionale Musiktherapie, Interdisziplinarität, kognitive Funktionen, Neurorehabilitation, tschechische Musiktherapie
Integrated music therapy in patients with acquired brain injury (ABI) with predominant cognitive impairment
An exploratory pilot study of interdisciplinary neurorehabilitation care in the Day Hospital of the Department of Rehabilitation Medicine of the 1st Faculty of Medicine at Charles University in Prague
Abstract
Background and purpose: The Department of Rehabilitation Medicine at the 1st Faculty of Medicine, Charles University, and the General University Hospital in Prague have had a 20-year experience running an intensive rehabilitation program for patients after ABI. Until 2020, however, there had been no intensive rehabilitation program for the population of patients with minimum or no motor deficit who at the same time suffer from a major cognitive deficit. In October 2020 a special program for these patients was started. The program is scheduled for four weeks, daily 8:30 a.m. to 3:30 p.m., and it includes individual and group therapies (consisting of 4 patients). Music therapy is a part of this intensive rehabilitation program together with neuropsychology, occupational therapy, special education, art therapy and physiotherapy (involving dual-task training). The applied multidisciplinary approach to the therapy relies on the interconnection of individual specializations. The aim of this article is to describe the constituting elements of this approach used at the Department of Rehabilitation. Type of study: Explorative pilot study. Methods and process: Initial and final examinations are carried out before starting and after finishing the program with standardized test batteries used for every specialization. By comparing values in individual sub-tests (immediate and delayed memory, visuospatial, speech and executive functions, attention, depressivity) it is possible to give evidence of specific improvements in those areas. All patients underwent psychological assessment within two weeks before and after completion of the daily cognitive rehabilitation program. Cognitive performance was evaluated with Short Neuropsychological Battery (SNB). This is a repeatable battery for the evaluation of the following cognitive domains: memory (immediate recall, delayed recall, and recognition), attention, executive functions, language, and visuospatial functions. All 17 subtests of SNB were administered and cognitive profile was set. Non-verbal problem solving and spatial reasoning ability were measured with Matrix Reasoning, a subtest of Wechsler Adults Intelligence Scale-III. Moreover, the 60-item Boston Naming Test was administered for the evaluation of confrontational word retrieval in patients with aphasia. Depressive symptoms were evaluated using Beck Depression Inventory-II. The State-Trait Anxiety Inventory was used to measure state (part X-1) and trait (part X-2) anxiety symptoms. Subjective complaints
on cognitive performance were evaluated using Cognitive Difficulties Scale, responses were obtained from the patient and his/her relative. Ten patients (7 women and 3 men) aged 26–78 years (median value of 46 years) with acquired brain injury completed the program. Originally, twelve patients started the program, but two of them fell ill. Out of these ten patients, five of them had experienced ischemic stroke, three of them in dominant left hemisphere, two with a multifocal stroke. Three patients suffered a severe cranial trauma, two within a multiple trauma. Two patients had hypoxic ischemic diffuse lesion after cardiopulmonary resuscitation in cardiac arrest due to massive pulmonary embolism. The time from the incident to starting the program ranges from 5 to 24 months, with a less intensive therapy applied in the meantime. In the process of music therapy, we aim primarily at training hearing perception, attention and memory. We combine various music therapy techniques including elements of neurologic music therapy. Specific techniques are selected individually according to the patient’s needs and therapeutic goals which are set together with the whole interdisciplinary team. Outcomes: The psychological assessment results show a significant improvement in most indicators measured (with the exception of one patient who showed increased depression indicator). Discussion and further perspectives: We expect that with the growing number of patients the results will become more demonstrable. The entire team is now implementing a method of setting and evaluating patients’ goals according to GAS. Furthermore, music therapy assessment is planned to become more elaborate, too. The therapy of patients with ABI involves a complex effect; interaction and efficiency of individual elements cannot be separated. The role of music therapy is not insignificant in this process: in quantitative assessment of the efficiency of the therapy, changes (often positive) may be seen in individual areas. Assessment, however, remains to be largely qualitative, as described in Marketa Gerlichova’s PhD thesis.
Keywords: music therapy, neurorehabilitation, cognitive function, acquired brain injury, interdisciplinary team
PhDr. PhD Markéta Gerlichová
Musiktherapeutin, Physiotherapeutin,
Sonderpädagogin, Assistenzprofessorin an der
1. Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag
marketa.gerlichova@vfn.cz
Prof. Dr. Dr. Dr. Wolfgang Mastnak
Hochschule für Musik und Theater, München,
Bayerisches Hochschulzentrum für Mittel-,
Ost- und Südosteuropa BAYHOST,
Beijing Normal University
MUDr. PhD Yvona Angerová
Leiterin der Abteilung für Rehabilitationsmedizin
der 1. Medizinischen Fakultät der
Karlsuniversität in Prag. Spezialisierung:
Neurologie, Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin
MUDr. Sylva Klimošová
Neurologin mit Schwerpunkt Schlaganfall.
Leiterin der Tagesklinik der Abteilung für Rehabilitationsmedizin
der 1. Medizinischen Fakultät
der Karlsuniversität in Prag
Mária Krivošíková, M.Sc.
Ergotherapeutin und Dozentin an der
1. Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität
in Prag. Spezialisierung: Rehabilitation
kognitiver Störungen bei ABI-Patienten
Musik- und Spieltherapie bei Fetaler Alkohol-Spektrum-Störung (FASD). Eine Pilotstudie
Zusammenfassung
Alkoholkonsum während der Schwangerschaft ist potenziell schädigend und zieht im pathologischen Fall eine komplexe neuropsychische Störung des Kindes nach sich: die Fetale Alkohol-Spektrum-Störung (FASD). Mit einer globalen Prävalenz von knapp 0.8 Prozent und regionalen Prävalenzen, die teils bis zu zwei Prozent ansteigen, stellt sie die Neuropädiatrie, die Förderpädagogik und das betroffene soziokulturelle System vor ein massives, wenn auch allgemein relativ wenig beachtetes Problem. FASD gilt an sich als unheilbar, wobei Therapiestandards zur Symptomverbesserung ein breites Spektrum an Interventionen umfassen. Der vorliegende Artikel verfolgt im Hinblick darauf eine zweifache Absicht. Zum einen schlägt er einen künstlerisch-spieltherapeutischen Ansatz vor, der gleichzeitig zu kreativen Folgeforschungen ermutigen soll. Zum anderen will er dafür sensibilisieren, dass die psychosozialen Auswirkungen der COVID-19-Maßnahmen auch zu einem Anstieg von FASD führen könnten, was ein dahingehendes Screening sinnvoll macht. Der Artikel stellt ein musik-spieltherapeutisches FASD-Projekt vor, das aus wissenschaftstheoretischer Sicht als explorative Pilotstudie bezeichnet werden kann. Diese wendet sich insbesondere zwei Forschungsfragen zu: Wie reagieren Kinder und Jugendliche mit FASD auf interaktive kreativ-therapeutische Angebote? Und: Wie können diese Grundmodelle individualisiert und optimiert werden? Unter Einbindung von Ergebnissen der FASD-Forschung sowie der Musik- und Spieltherapie wurde ein Basismodell erstellt, das durch iterative Zyklen der Aktionsforschung (Interventionsevaluation – Interventionsmodifikation – Interventionsapplikation) dynamisch weiterentwickelt wurde. Anhand von Realverhalten, Symbolgestalt und Verbalmitteilung wurden prozessbegleitend Aggression und Gewaltneigung, Wut und Trost, Provokation und Hinterlist, Angst, Zuneigung und das Anbahnen von Beziehung eingeschätzt, wobei sowohl massive Schwankungen als auch klare Tendenzen in Richtung Symptomverbesserung deutlich wurden. Aufgrund der positiven Ergebnisse sind weiterführend angedacht: (i) eine effektgrößenorientierte Studie zum hier vorgestellten Interventionsmodell, (ii) eine auf Systemkompatibilität mit anderen relevanten Konzepten und Forschungsergebnissen prüfende Studie und (iii) eine kultursensible Studie, wobei aktuell China zur Diskussion steht.
Schlüsselwörter: ADHS, FASD, Förderpädagogik, Heilpädagogik, Musiktherapie, Psychodrama, Spieltherapie, Symboltheater
Music and play therapy in Fetal Alcohol Spectrum Disorder care (FASD). A pilot study
Abstract
Alcohol consumption during pregnancy is likely to cause a complex neuro-psychological disorder that affects the child: the Fetal Alcohol Spectrum Disorder (FASD). Given a global prevalence of nearly 0.8 percent and regional prevalence sizes of up to two percent, neuropediatric, supportive education and socio-cultural systems are faced with a huge, often underestimated problem. Although FASD is widely regarded as an incurable medical condition, a broad spectrum of interventions proved effective in reducing symptoms; ergo, they count as a certain standard of FASDtherapy today. Regarding the current situation, the present article focuses on two main topics: (i) a novel music-play-therapeutic approach that also encourages further creative research; (ii) public health measures to control the COVID-19 pandemic have given rise to various psychosocial and mental disorders, which may eventually cause an increase of FASD cases, hence the suggestion of adequate screening. From the perspective of philosophy of science, the music-play-therapeutic model we are dealing with in this article is based on an explorative pilot study with two main research questions: How do children and adolescents respond to creative activities in interactive therapy settings? And: How can basic music-play-therapeutic models be tailored to individual requirements and thus be optimised in clinical practice? Taking FASD-related theories and music-play-therapeutic considerations into account, the first author designed a basic intervention model which underwent, according to action research and its iterative cycles of ‘evaluation – re-adjustment – application’, a supervised optimisation process. Regarding in-situ behaviour, symbolic gestalt and verbal messages, continuous evaluation assessed aggression and hostility, anger and comfort, offence and deceitfulness, anxiety, affection and readiness for attachment. Despite huge fluctuations, statistical analysis revealed a clear tendency towards general symptom improvement. Considering the project’s outcomes as well as its limitations, further research is suggested: (i) a quantitative study to estimate the effect size of the present music-play-therapeutic model, (ii) a comparative study to explore system-compatibility with other relevant models and scientific results, and (iii) a culturally sensitive study, possibly in the People’s Republic of China.
Keywords: ADHD, FASD, music therapy, play therapy, psychodrama, supportive education, symbolism in theatre, therapeutic pedagogy
Julia Richter
j.richter@mein.gmx
Johanna Gerstner
Hochschule für Musik und Theater, München
johanna.gerstner@gmx.net
Synergetische Musiktherapie auf der Basis russischer Philosophie und orthodoxer Tradition
Zusammenfassung
Der Artikel stellt ein original russisches Modell der Musikphilosophie und Musiktherapie dar. Es wurde vom Autor entwickelt und als synergetisches Modell bezeichnet. Die Bezeichnung „synergetisch“ bezieht sich auf die Synergetik als wissenschaftliche Disziplin, in der Mechanismen der Selbstorganisation von Systemen als Voraussetzung der systemisch-evolutionären Bewegung untersucht werden. Das wird im Buch des Autors „Summe der Musik“ im Detail ausgeführt. Stammvater dieser Synergetik ist der deutsche Physiker Hermann Haken. Der Artikel fokusiert dabei auf das Wesen des Begriffs Synergie, das in der russischen Orthodoxie – im vorliegenden Text bezieht sich Orthodoxie ausschließlich auf die russisch-orthodoxe Kirche – von besonderer Tiefe ist. Im Mittelpunkt steht der Hesychasmus, was die Einswerdung der Energien des vollkommenen Menschen und der Energien Gottes bedeutet. Im Kontext des einheitlichen semantischen Raums von Synergetik – Synergie sieht dieser Artikel die Musik als Höhepunkt der systemisch-evolutionären Entfaltung an. In diesem Artikel wird Musik im Rahmen der synergetischen Musikphilosophie definiert, was zur Begriffsbildung „neue synergetische Musikphilosophie“ führt. Basierend auf den Ideen über Synergie von H. Haken und kombiniert mit Ideen der russisch-orthodoxen Philosophie – in dieser Arbeit bezeichnet der Autor als Neue Synergetik die Synergetik, die auf der Verbindung der Synergetik von Hermann Haken mit dem Synergismus basiert, analog der Neuen Ontologie von Nicolai Hartmann. Darauf folgend wird in diesem Artikel die einzigartige Energie der Klangmaterie der Musik betont. Im alten Russland – damit ist die Zeit vor Peter dem Großen gemeint – bildete diese Klangenergie die Grundlage des liturgischen orthodoxen Gesangs, der den Namen Znamennyj raspev erhielt. Znamennyj penie war die Basis für die Entwicklung der weltlichen Musik in Russland: Von den frühen Mustern bis zu den modernen. Der Artikel geht davon aus, dass der vollkommene Mensch die Einheit seines Körpers, seiner Seele und seines Geists ist, so dass die verkündete Einswerdung der menschlichen Energien und der Energien Gottes die Zunahme der Energien des Menschen in der Reihenfolge: körperlich – seelisch – geistig darstellt. Laut der Theorie der russischen Psychologen und Psychophysiologen P. Simonov werden Körper, Seele und Geist des Menschen jeweils von drei Bereichen seiner Psyche gesteuert, die als Unterbewusstsein, Bewusstsein und Überbewusstsein bezeichnet werden. Weiters wird davon ausgegangen, dass die kontinuierliche Einwirkung der Musik auf das Unbewusste, Bewusstsein und Überbewusstsein des Menschen für seine energetische Entwicklung sorgt, die zum Einswerden der menschlichen und göttlichen Energien führt. Nach Meinung des Autors lässt eine derartige Verwendung der Musik die Bezeichnung Musiktherapie zu. Der vorliegende Artikel legt die Musiktherapie explizit aus der Sicht der russischen Musikphilosophie dar. In dieser Tradition wird in der Entwicklungsgeschichte der Musiktherapie von drei Richtungen ausgegangen, wobei verschiedene Wirkungen der Musik prägend sind: (i) auf das Unbewusste, den Körper, also Musiktherapie in der Medizin, (ii) auf das Bewusstsein, die Seele, also Musiktherapie bei der psychologischen Beratung (Therapie) und (iii) auf das Überbewusstsein, den Geist, also Musiktherapie in der Pädagogik. Es wird eine klare Ausprägung dieser Richtungen der musiktherapeutischen Tätigkeit im modernen Russland deutlich. Gerade die ganzheitliche Nutzung der Musiktherapie in der Medizin, in der psychologischen Beratung (Therapie) und in der Pädagogik fördert die Entfaltung der außergewöhnlichen Möglichkeiten der musiktherapeutischen Praxis. Das führt zum Vorschlag, eine internationale Konferenz zu organisieren, wo Fragen der Musiktherapie in Kontext der aktuellen Kulturologie sowie Ökologie und des Gesundheitswesens diskutiert und dargestellt werden können.
Schlüsselwörter: Philosophie, Musik, Synergetik, Synergie, Orthodoxie, russisch-orthodox, Mensch, Welt, Gott, Musiktherapie, Russland
Synergetic music therapy on the basis of Russian philosophy and orthodox tradition
Abstract
The article deals with an original Russian model of music philosophy of music and music therapy. The author calls this approach ‘synergetic’. According to his book ‘The Sum of Music’, his concept reveals the features of what is called synergetic. This goes hand in hand with the theoretical basis of synergetics, a scientifi c branch in which the mechanisms of self-organization of systems are studied and which is regarded as prerequisite for all system-evolutionary movement. The founder of synergetics was the German physicist Hermann Haken, who used the Greek word synergy to denote the fi eld of knowledge he discovered. The article points out that the essence of the concept of synergy can also be found – and this in mystical depth – in Orthodoxy, where hesychasm is of crucial importance: the unity of the energies of the whole person and the energies of God. In the context of the unified semantic space of synergetics – synergy, the article regards music as the pinnacle of system-evolutionary development. The article starts from the definition of music in the context of synergetic music philosophy. This view can be called a ‘new synergetic music philosophy’. Based on the ideas about synergy from H. Haken this approach is combined with ideas of Russian Orthodox philosophy. Following this, the present article emphasises the unique energy of the sound matter in music. In ancient Russia, this sound energy formed the basis of liturgical orthodoxy, which was named Znamennyj raspev. Znamennyj raspev was the basis for the development of secular music in Russia: from early patterns to modern ones. The article suggests the whole person be the unity of body, soul and spirit, which leads to the unity of the energies of the human being and the energies of God, which results in increased human energy in the sequence: body (bodily energy) – (energy of the) soul – spiritual (energy). According to the theory of the Russian psychologist and psychophysiologist P. Simonov, the human body, soul and spirit are each controlled by three areas of their psyche, which are called subconscious, conscious and superconscious. The article assumes that the consistent influence of music on the subconscious, consciousness and superconsciousness of a person ensures the energy development of a person, leading to the unity of the energies of a person and the energies of the Deity, hence the use of the term ‘music therapy’. This article explains music therapy explicitly from the point of view of Russian music philosophy. In this tradition, the history of the development of music therapy contains the gradual determination of three directions, (i) the effects of music on the unconscious, the body (i.e. music therapy in medicine), (ii) the influence of music on the consciousness, the soul (i.e. music therapy psychological counseling) and (iii) the effect of music on the superconsciousness, the mind (i.e. music therapy in pedagogy). A clear identification of these areas of music-therapeutic activity in modern Russia is given. It is argued that it is the complex use of music therapy in medicine, music therapy in psychological therapy and music therapy in pedagogical work that will contribute to the extraordinary possibilities of music therapy practice. A proposal is made to organise an international conference where music therapy issues shall be discussed and presented in the context of current cultural studies as well as ecology and health care.
Keywords: philosophy, music, synergetics, synergy, orthodoxy, man, world, God, music therapy, Russia
Dr. Aleksandr S. Klujev
Lehrstuhlinhaber (Full Professor) für musikalische
Erziehung und Bildung an der Russischen
Staatlichen Pädagogischen Herzen-Universität
(Department of Music Education of the Herzen
State Pedagogical University of Russia).
Российский государственный
педагогический университет
им. А. И. Герцена
Nab. reki Mojki 48
Sankt Petersburg
Russische Föderation
aklujev@mail.ru
Ekaterina Porizko
Musikwissenschaftlerin, Dirigentin,
Komponistin
eporizko@gmail.com
Aleksandr Klujevs Synergetische Musiktherapie aus interdisziplinärer Perspektive
Prof. Dr. Dr. Dr. Wolfgang Mastnak
Hochschule für Musik und Theater, München
wolfgang.mastnak@hmtm.de
Dance – a viable means to treat diseases and to fight pandemics: A medical and cultural anthropological perspective
Abstract
Dance is not only a global cultural phenomenon and considered an essential anthropological factor, it also embodies distinct health-promoting and curative potential. Consequently, dance therapy has become a promising discipline. In both healthy individuals and people with various diseases, dance and dance therapy can improve quality of life, while therapeutic factors mainly relate to a patient’s physiological, psychological, sociological and spiritual status quo. In clinical fields, educational areas and public health, dance may have a positive impact on cardiorespiratory fitness, psychosomatic balance, musculoskeletal resilience and the immune system. Moreover, it can facilitate and enhance social inclusion. The broad spectrum of clinical and rehabilitative application encompasses paediatric, psychiatric, neurological, geriatric, cardiological, oncological, endocrinological, metabolic, rehabilitative and epidemiological topics. Principles of dance therapy, such as neuroplasticity, are considered mechanisms which concern all human beings, while visible features of dance therapy greatly depend on cultural conditions, hence the need for culturally sensitive dance therapy. Regarding the international situation of dance therapy, interdisciplinary research looks markedly underrepresented, but is needed to explore the multifaceted beneficial functions of dance.
Keywords: dance therapy, cultural sensitivity, public health, health education
Tanz – ein probates Mittel zur Behandlung von Krankheiten und um Pandemien zu bekämpfen: eine medizinische und kulturanthropologische Perspektive
Zusammenfassung
Tanz ist nicht nur ein globales Kulturphänomen und ein essentieller anthropologischer Faktor, er trägt auch hohes gesundheitsförderndes und heilendes Potenzial in sich, was Tanztherapie zu einer Disziplin mit Zukunft macht. Sowohl Gesunde als auch Menschen mit verschiedensten Erkrankungen können von Tanz und Tanztherapie in vielfältiger Weise profitieren: physiologisch, psychisch, sozial und spirituell. Tanz im klinischen Bereich, im Bildungssektor und im öffentlichen Gesundheitswesen deckt ein breites Spektrum ab, das insbesondere auch kardiorespiratorische Fitness, psychosomatisches Gleichgewicht, skelettmuskuläre Gesundheit, ein starkes Immunsystem und soziokulturelle Inklusion mit einschließt. Hier kommt nahezu der gesamte Kanon medizinischer Disziplinen aufs Tapet: Pädiatrie, Psychiatrie, Neurologie und Neurorehabilitation, Geriatrie, Kardiologie, Onkologie, Endokrinologie, metabolisch orientierte Wissenschaften und Epidemiologie. Prinzipien von Tanztherapie, etwa die Neuroplastizität, werden mit Mechanismen assoziiert, die alle Menschen gleichermaßen betreffen. Dahingegen sind tanztherapeutische Erscheinungsformen stark kulturell geprägt und liefern dem Begriff „kultursensible Tanztherapie“ Substanz. Interdisziplinäre Forschung zur Tanztherapie dürfte international unterrepräsentiert sein, was sich nachteilig auf das Wissen über Faktoren und Eff ekte auswirkt und spezifi sche klinische Interventionsplanung erschwert.
Schlüsselwörter: Tanztherapie, Kultursensibilität, Gesundheitswesen, Gesundheitserziehung
Prof. Dr. Dr. Dr. Wolfgang Mastnak
Hochschule für Musik und Theater, München
wolfgang.mastnak@hmtm.de
Wenn Gefühle Farben formen: Kunsttherapie und emotionsfokussierte Psychotherapie
Zusammenfassung
Emotionsfokussierte Psychotherapie ist ein evidenzgestütztes Verfahren, das Emotionen für die Funktionalität eines Menschen und seinen therapeutischen Veränderungsprozess als zentral erachtet. Der Beitrag befasst sich mit der Rolle von Kunsttherapie in der emotionsfokussierten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung. Überschneidungsbereiche zwischen emotionsfokussierter Psychotherapie und Kunsttherapie werden aufgezeigt und mit Erfahrungen aus der Praxis belegt. Ein Fallbeispiel zeigt, wie auf Bilderebene im Laufe eines kunsttherapeutischen Prozesses verschiedene authentische Gefühlsqualitäten und Ressourcen sichtbar sowie besprechbar wurden und in einer Bilderreihe sinnhaft miteinander verbunden werden konnten. Aus dem integrativen Ansatz und dem vielversprechenden Verlauf ergibt sich die Empfehlung, spezifische emotionsfokussierte Kunsttherapie in das multiprofessionell ausgerichtete psychotherapeutische Behandlungskonzept, welches auf eine förderliche Modifikation problematischer Gefühle abzielt, einzubeziehen.
Schlüsselwörter: emotionszentrierte Kunsttherapie, EFT, klinische Kunsttherapie, prozessorientierte Kunsttherapie, integrativer therapeutischer Prozess, emotionsfokussierte Psychotherapie, multiprofessionelle psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung, problematische Gefühle
Shaping colors through emotions: Art therapy and emotion-focused psychotherapy
Abstract
Emotion-focused therapy (EFT) is an empirically-supported treatment that considers emotions as centrally important in human functioning and therapeutic change. This treatise addresses the function of emotion-oriented art therapy in the clinical psychotherapeutic treatment. Overlapping domains among emotion-centered psychotherapy and art therapy will be pointed out and substantiated with clinical experience. A case study illuminates how during the course of an integrative art therapeutic treatment process authentic emotional qualities and resources became visually apparent and ultimately combined in a process-oriented visual narration. The integrated approach and promising course suggest that specific emotion-centered art therapy is highly recommendable in a multi-professional psychotherapeutic treatment which focuses on the beneficial modification of problematic emotions.
Keywords: emotion-centered art therapy, clinical art therapy, process oriented art therapy, integrated therapeutic process, emotion-focused therapy, EFT, emotion-focused psychotherapy, multi-professional psychiatric-psychotherapeutic treatment, problematic emotions
Dr. Alexandra Daszkowski, M.A.
Kunsttherapeutin, grad. DGKT
Private Tagesklinik Walddörfer
Tagesklinik für Psychosomatik
Halenreie 42
D-22359 Hamburg
a.daszkowski@asklepios.com
Künstlerische Therapien – ein etablierter Begriff
Ton-Psychologie und Multimodalität
Zusammenfassung
Seit der ersten Verwendung des Begriffs künstlerische Therapien durch den Verfasser 1985 und dessen weiterer Begriffsklärung 2008 hat sich dieser Terminus etabliert. Gegenüber vorangegangenen Bezeichnungen wie gestalterische oder kreative Therapie assoziiert künstlerische Therapie sowohl das dem Begriff Kunst immanente künstlerische Können und die mit dem jeweiligen künstlerischen
Gebiet verbundene historische und psychologische Kunde als auch das dem Künstler nachgesagte Feeling für gesellschaftliche Phänomene und seine jedem Menschen und besonders Patienten innewohnende Sehnsucht nach dem Schönen. Der Begriff künstlerisch therapeutisch ist in der Psychotherapie mit der Bezeichnung Ton-Psychologie verwandt. Im Sinne der erstrebenswerten Erlebnisvertiefung muss sie multimodal ausgerichtet sein. Psychologie als Wissenschaft von der Wahrnehmung, vom Erleben und Verhalten gilt als vorwiegend naturwissenschaftliche Disziplin. Die zu den künstlerischen Therapien zählenden eigenständigen Fachgebiete leben allesamt von ihrem jeweils eigenen τόνος und versuchen mit dessen Wahl und Modifizierung den psychosomatischen und somatopsychischen τόνος des Klienten zu beeinflussen. Angesichts der Informations- und Reizüberflutung durch die Medienkonzerne muss es Anliegen der künstlerischen Therapien sein, einzelne Sinnesgebiete mit anderen sensorischen Fähigkeiten zu verknüpfen, um mit einer solcherart Verstärkung das einem künstlerischen Tun eigene Wirkungspotential multimedial und insbesondere multimodal zu fördern und zu festigen. Nachdem bereits Kinder mit digitalen Medien umgehen, werden zunehmend Patienten mit Kenntnissen multimedialer Programme angetroffen. Wie multimedial und multimodal gearbeitet werden kann, hat bereits Wassily Kandinsky 1930 demonstriert. Seine bewegten Bilder lassen sich heute technisch ungleich komfortabler realisieren. Die zur selben Musikvorlage geschaffenen, in Youtube vergleichbaren Produktionen etwa von 2009 und 2018 stehen aber weit hinter seiner vorausschauenden, tatsächlich multimodalen Idee zurück. Künstlerische Therapien und eine therapeutisch intendierte Multimodalität implizierende, an Künsten und am individuellen künstlerisch formenden Tun von Patienten orientierte Angewandte Ton-Psychologie sind weitgehend synonym und erklären sich gegenseitig.
Schlüsselwörter: Künstlerische Therapien, Ton-Psychologie, Multimodalität
Arts therapies – an established term
Tone psychology and multimodality
Abstract
Since the first use of the term arts therapies by the author in 1985 and its further definition in 2008, this term has become established. In contrast to previous terms such as design or creative therapy, artistic therapy associates both artistic ability and the historical and psychological knowledge associated with the respective artistic field (art comes from knowledge and ability) as well as the human longing for the beautiful. Other craft professions are also called artistic, provided they have their own scope for design, and equate artistic with creative. In psychotherapy, the term arts therapies is closely related to the term tone psychology. In terms of deepening the experience, which is worth striving for, it would have to be multimodal. Psychology as the science of perception, of experience and behavior is predominantly a scientific discipline. The independent subject areas belonging to the artistic therapies all live from their own τόνος and try to influence the psychosomatic and somatopsychic τόνος of the client by choosing and modifying them. In view of the information and stimulus overload caused by the media, the aim of artistic therapies must be to link individual sensory areas with other sensory abilities in order to use such a reinforcement to promote the potential of an artistic activity in a multimedia, but also multimodal way and consolidate. Now that children are already using digital devices, more and more patients are found with knowledge of multimedia programs. Wassily Kandinsky demonstrated as early as 1930 how multimedia and multimodal work can be done. Nowadays, his moving images can be realized much more conveniently from a technical point of view. The productions that were created based on the same musical template and comparable in Youtube from about 2009 and 2018 are far behind his forward-looking multimodal idea. Arts therapies and applied sound psychology, which implies a therapeutically intended multimodality and are oriented towards the arts and the individual artistic formative actions of patients, are largely synonymous and explain each other.
Keywords: arts therapies, psychotherapies oriented towards the arts and artistic activity, tone psychology, multimodal therapies
Univ.-Prof. Dr. Dr. Karl Hörmann
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31. Jahrgang · 2021 · Heft 2
Pabst, 2021
ISSN 0933-6885
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