Krisen als Konsumtreiber
Eine von der KKH beauftragte forsa-Umfrage zeigt darüber hinaus: Fast ein Drittel der Berufstätigen trinkt an mehreren Tagen pro Woche Alkohol, neun Prozent davon teils sogar täglich. Gründe dafür sind unter anderem das bessere Abschalten vom Alltag, Gewohnheit und Stressabbau. Jeder neunte Beschäftigte gibt darüber hinaus an, seit der Corona-Pandemie mehr Bier, Wein, Sekt und Hochprozentigeres zu konsumieren. „Besonders in Krisenzeiten sind Rauschmittel eine Art Bewältigungsmechanismus, da sie entspannen, beruhigen und vermeintlich Ängste und Sorgen vertreiben. Besonders gefährdet sind Menschen, die bereits unter einer Alkoholsucht leiden oder dazu neigen“, erläutert Michael Falkenstein, Experte für Suchtfragen bei der KKH. Bei vielen Berufstätigen kommen noch Konkurrenzdruck und Überlastung hinzu sowie seit der Corona- und der Energiekrise vermehrt Geldsorgen und Existenzängste. „Eine Reihe von Beschäftigten kommt auch mit der Isolation im Homeoffice schlecht zurecht. Wer nicht mehr täglich zur Arbeit fährt, verliert leicht seinen Tagesrhythmus und hat weniger soziale Kontrolle durch Kolleg:innen und Kund:innen. Die Hemmungen mit Blick auf den Alkoholkonsum sinken“, erläutert Falkenstein.
Suchtpotenzial oft unterschätzt
Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) sind fünf Prozent der Arbeitnehmer:innen und bis zu zehn Prozent der Führungskräfte alkoholabhängig. Diese Mitarbeiter:innen stellen ein Risiko für sich selbst, das Unternehmen und die Kolleg:innen dar. Oft entwickeln Süchtige weitere Krankheiten und fallen dadurch einmal mehr bei der Arbeit aus. Sie haben deutlich häufiger Arbeitsunfälle als gesunde Kolleg:innen und sind deutlich weniger leistungsfähig. Ein großer volkswirtschaftlicher Schaden ist die Folge. Und nicht nur das: Auch das Arbeitsklima leidet unter dem Konsum von Alkohol. Skepsis, Misstrauen und Konflikte sind die Folge. Michael Falkenstein: „Die Gefahren durch Alkohol werden oft unterschätzt und erst dann als Problem wahrgenommen, wenn die Grenze zu Missbrauch und Abhängigkeit bereits überschritten ist. Wir unterscheiden häufig zwischen Weiß und Schwarz, nämlich den gelegentlichen Genusstrinker:innen und denjenigen, die bereits morgens Wodka in den Kaffee kippen. Es gibt aber noch einen riesigen Graubereich dazwischen.“
Auffälligen Konsum nicht decken
Der KKH-Experte ist überzeugt, dass die meisten zu spät Hilfe suchen, denn die Scham ist groß. Zum Suchtverhalten gehört darüber hinaus eine Realitätsverzerrung: Betroffene leugnen meist, dass sie getrunken haben und machen andere für ihre Probleme verantwortlich. Sie verharmlosen ihr Trinkverhalten und haben häufig Ausreden parat. Falkenstein empfiehlt Berufstätigen, die Alkoholprobleme bei Kolleg:innen beobachten, sich an die nächsthöhere Führungskraft oder auch den Betriebsarzt beziehungsweise die Betriebsärztin des Unternehmens zu wenden. Verstoßen betreffende Mitarbeiter:innen mit ihrem Verhalten gegen arbeitsvertragliche Pflichten oder vernachlässigen diese, sollte die Führungskraft sie darauf ansprechen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die Probleme verfestigen und zu einer chronischen Erkrankung führen. Wichtig sei, Betroffene konkret und sachlich auf ihre Sucht anzusprechen und Verhaltensbeispiele aufzuzeigen, ohne sie anzugreifen, zu beleidigen oder gar zu verurteilen. Falkenstein: „Keinesfalls sollte problematischer Konsum gedeckt und die Auswirkungen durch andere ausgeglichen werden.“
Quelle: https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/alkoholarbeit
Literatur:
Alkoholatlas Deutschland 2022
Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.)
2022, 178 Seiten