Charlotte Höcker, Natalie Gittner, Clara Schliessler & Steffen Elsner
Editorial
Zami Khalil
Transgenerationale Weitergabe von Rassismuserfahrungen von Schwarzen Menschen in Deutschland. Eine qualitative Analyse.
Sylvia Schulze
Projektionen in Haut: Race und Weißes Nichtwissen in der Psychoanalyse
Jenny Mgoza
Falsche Farbenblindheit
Beverly J. Stoute
Was uns seit den Anfängen verfolgt - Race und Rassismus im psychoanalytischen Denken
Sama Maani
Die Entkunstung eines Gedichts. Über das Ungesagte in der Amanda-Gorman-Debatte
Ulrike Marz
Ideologiekritik und Psychoanalyse als ‚Methoden‘ zur Kritik des Rassismus
Autorinnen und Autoren
Editorial
Charlotte Höcker, Natalie Gittner, Clara Schliessler & Steffen Elsner
Transgenerationale Weitergabe von Rassismuserfahrungen von Schwarzen Menschen in Deutschland. Eine qualitative Analyse.
Zami Khalil
Zusammenfassung: Rassistische Diskriminierung gehört zum Alltag Schwarzer Menschen in Deutschland. Die damit einhergehenden psychischen und physischen Folgen sind jedoch bisher in Deutschland kaum erforscht. Aus rassismuskritischer und postkolonialer Perspektive wird mithilfe der Theorie des Otherings, sowie den psychodynamischen Konzepten der inneren Objekte und Übertragung der Frage nachgegangen, wie Schwarze Menschen in Deutschland eigene Rassismuserfahrungen transgenerational weitergeben. Hierfür werden exemplarisch Interviewpassagen von vier Schwarzen Menschen aus Deutschland analysiert, die von ähnlichen Leitsätzen ihrer Schwarzen Eltern im Kontext von Rassismus berichten. Es zeigt sich, dass hierbei oftmals unverarbeitete und ausgesprochene Gefühle von Scham, Schuld und Trauer an die nachfolgende Generation unbewusst übertragen werden.
Schlüsselwörter:Rassismus, Othering, innere Objekte, transgenerationale Erfahrungen, Scham
Transgenerational transmission of racism experiences of Black people in Germany. A qualitative analysis.
Abstract: Racist discrimination is part of the everyday life of Black people in Germany. However, the accompanying psychological and physical consequences have hardly been researched in Germany so far. With the help of the theory of othering and the psychodynamic concepts of inner objects and transference, the question of how Black people in Germany pass on their own experiences of racism transgenerationally is investigated from a critical and postcolonial perspective. For this purpose, interview passages of four Black people from Germany are analysed as examples, who report on similar guiding principles of their Black parents in the context of racism. It is shown that often unprocessed and unexpressed feelings of shame, guilt and grief are unconsciously transmitted to the following generation.
Keywords: Racism, othering, internal objects, transgenerational experiences, shame
Projektionen in Haut: Race und Weißes Nichtwissen in der Psychoanalyse
Sylvia Schulze
Zusammenfassung:Die Autorin beschreibt den gescheiterten Analyseversuch mit einem Patienten, der in konkretistischer Weise ein tiefgreifendes Minderwertigkeitserleben in seine Schwarze Haut projizieren musste. Die daraus resultierende phantasierte Kontamination von Haut (-Farbe) wird als eine komplizierte Verschränkung von individuellen und kollektiven projektiven und introjektiven Prozessen diskutiert. Das Haut-Ich des Patienten erscheint sowohl durch rassifizierende Zuschreibungen von außen als auch durch Projektionen seines Gefühls, grundsätzlich verkehrt zu sein, beschädigt. Die daraus resultierende Phantasie, weder in sich selbst noch im Objekt Schutz und Behausung zu finden, aktualisierte sich im analytischen Raum. Das Scheitern der analytischen Beziehung zwischen der Weißen Analytikerin und dem Schwarzen Patienten wird im Rahmen der Konzeptualisierung von innerem Rassismus, Race und Weißem Nichtwissen diskutiert und zu verstehen versucht.
Schlüsselwörter:Projektion in Haut, ‚racial other‘, Rassifizierung, ‚Race‘, Weißes Nichtwissen
Projections in Skin: Race and White ignorance in psychoanalysis
Abstract:The author describes a failed attempt at analysis with a patient who was forced to project a profound experience of inferiority into his Black skin in a concretist manner. The resulting phantasised contamination of skin (colour) is discussed as a complicated interweaving of individual and collective projective and introjective processes. The patient‘s skin ego appears damaged both by racialising attributions from the outside and by projections of his sense of being fundamentally wrong. The resulting fantasy of not finding shelter and dwelling either in oneself or in the object actualised itself in the analytic space. The failure of the analytic relationship between the White analyst and the Black patient is discussed and attempted to be understood within the conceptualisation of inner racism, race and White ignorance.
Keywords:Projection into skin, ‚racial other‘, racialisation, ‚race‘, White ignorance
Falsche Farbenblindheit
Jenny Mgoza
Zusammenfassung: Dieser Beitrag betrachtet die tiefenpsychologisch fundierte psychotherapeutische Arbeit einer Assistenzärztin mit einer 15-jährigen Patientin im Rahmen einer tagesklinischen Behandlung vor dem Hintergrund, dass sowohl Behandlerin als auch Patientin durch Migrationshintergrund dunkelhäutig sind. In die klinischen Überlegungen fließen eigene Erfahrungen der Behandlerin ein und beleuchten die Relevanz von Hautfarbe und Rassismuserfahrungen bei der Identitätsentwicklung in der Adoleszenz. „Falsche Farbenblindheit“ ist ein Plädoyer dafür, in psychotherapeutischer Arbeit die persönlichen bewussten und unbewussten Auseinandersetzungen, die in Folge von „Andersfarbigkeit“ aufkommen, zu untersuchen.
Schlüsselwörter: people of colour, Diskriminierung, Rassismus, Adoleszenz, Identität, Depression, Angst
Anmerkung zu Beginn: Die Autorin verwendet im Text für die Allgemeinform wiederholt die männliche Schreibweise zur eigenen Vereinfachung des Schreibens, weibliche sowie diverse Geschlechtsidentitäten sind darin inbegriffen.
False colour blindness
Abstract: This article examines the depth psychology-based psychotherapeutic work of an assistant doctor with a 15-year-old patient in the context of a day-clinic treatment against the background that both the practitioner and the patient are dark-skinned due to their migration background. The clinical considerations include the practitioner‘s own experiences and shed light on the relevance of skin colour and experiences of racism in the development of identity in adolescence. „False Colour Blindness“ is a plea for psychotherapeutic work to examine the personal conscious and unconscious struggles that arise as a result of „otherness of colour“.
Keywords: People of colour, discrimination, racism, adolescence, identity, depression, anxiety
Was uns seit den Anfängen verfolgt - Race und Rassismus im psychoanalytischen Denken
Beverly J. Stoute
Zusammenfassung: Dieses Review psychoanalytischer Literatur und verwandter Disziplinen zum Thema race von Freud bis in die Gegenwart veranschaulicht, dass es letztlich latente rassistische Einstellungen waren, die die psychoanalytische Theoriebildung zu den Bedeutungen unterschiedlicher Erfahrungen mit race, zu den psychologischen Grundlagen rassistischen Denkens sowie eine Diversifizierung des Fachgebiets lange Zeit behindert haben. Dadurch wurde auch die Neugier vieler Psychoanalytiker*innen gehemmt, sich mit der Bedeutung von race für die klinische Arbeit auseinanderzusetzen. Die Existenz des „Anderen“ als Container für Hass, Neid und verbotene sexuelle Fantasien gab es schon, bevor die Kleinianische Theorie (1946) Abspaltung, Projektion oder projektive Identifikation definierte und bevor „Andersartigkeit“ (otherness) als theoretisches Konstrukt existierte. Dieser hier vorliegende Überblick über die psychoanalytische Literatur möchte zeigen, in welchem Ausmaß das Feld der Psychoanalyse von dem Rassismus der uns umgebenden Kultur beeinflusst wurde.
Schlüsselwörter: Othering, Geschichte der Psychoanalyse, Rassismus, race, afroamerikanische Psychoanalyse
What has haunted us since the beginning - Race and racism in psychoanalytic thinking.
Abstract: This review of psychoanalytic literature and related disciplines on race from Freud until the present time illustrates that it was ultimately latent racist attitudes that have long hindered psychoanalytic theorising on the meanings of different experiences of race, on the psychological foundations of racist thinking, and on diversification of the field. This has also inhibited the curiosity of many psychoanalysts to engage with the meaning of race for clinical work. The existence of the „other“ as
a container for hatred, envy and forbidden sexual fantasies existed before Kleinian theory (1946) defined splitting off, projection or projective identification and before „otherness“ existed as a theoretical construct. This review of the psychoanalytic literature
presented here aims to show the extent to which the field of psychoanalysis has been influenced by the racism of the culture around us.
Keywords: Othering, history of psychoanalysis, racism, race, African American psychoanalysis
Die Entkunstung eines Gedichts. Über das Ungesagte in der Amanda-Gorman-Debatte
Sama Maani
Ideologiekritik und Psychoanalyse als ‚Methoden‘ zur Kritik des Rassismus
Ulrike Marz
Zusammenfassung: Der theoretische Zugang der frühen Kritischen Theorie, der so genannten Frankfurter Schule, verbindet materialistische und psychoanalytische Perspektiven zum Verstehen gesellschaftlicher Verhältnisse und in ihr waltender Phänomene. Dieser theoretische Zugang bricht mit dem antipsychologischen Gestus marxistischer Theorien, weil allein durch den Blick auf das Objektive nicht zu verstehen ist, warum sich Subjekte rational und irrational zugleich verhalten. Dieser Ansatz auf das Ineinandergreifen von Rationalität und Irrationalität prädestiniert Kritische Theorie für eine Analyse des Rassismus in dessen rationalen und irrationalen Formen. In diesem Beitrag wird gezeigt, wie die Vermittlung von Ideologiekritik und der Psychoanalyse zum Verständnis des Rassismus in Anerkennung ihrer jeweiligen Grenzen beitragen kann.
Schlüsselwörter: Rassismus, Kritische Theorie, Psychoanalyse, Ideologiekritik
Ideology critique and psychoanalysis as ‚methods‘ for the critique of racism
Abstract: The theoretical approach of early Critical Theory, the so-called Frankfurt School, combines materialist and psychoanalytic perspectives to understand social relations and phenomena operating within them. This theoretical approach breaks with the anti-psychological gesture of Marxist theories because it is impossible to understand by looking at the objective alone why subjects behave rationally and irrationally at the same time. This approach to the interlocking of rationality and irrationality predestines critical theory for an analysis of racism in its rational and irrational forms. This paper shows how the mediation of ideology critique and psychoanalysis can contribute to the understanding of racism in recognition of their respective limitations.
Keywords: Racism, critical theory, psychoanalysis, ideology critique
Psychoanalyse – Texte zur Sozialforschung
27. Jahrgang · 2023 · Heft 1
Pabst, 2023
ISSN 1615-8393