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Psychologie & Gesellschaftskritik

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2014-4/2015-1 (152/153)

Peter Strasser
Der Psychopath und sein Gutachter. Ein kriminalbiologisches Szenario
Zusammenfassung | Abstract

Lorenz Böllinger
Neurobiologie als Hilfswissenschaft der Strafjustiz? Zur Psychopathologisierung terroristischer Taten
Zusammenfassung | Abstract

Dirk Fabricius
Gutachtenpraxis: Einflussökonomie und Institutionsversagen
Zusammenfassung | Abstract

Jochem Stroeve
Anders Behring Breivik
Die Rolle der Psychiatrie im Rechtswesen
Zusammenfassung | Abstract

Ulrich Kobbé
Gutachten unplugged: Epistemische Kommentierung von Expertenmacht und -murks
Zusammenfassung | Abstract

Michael Stiels-Glenn
N = 1 oder »Nach bestem Gewissen«? Gutachten in Strafverfahren
Zusammenfassung | Abstract

Günter Rexilius
Psychologische Begutachtung kritisch-psychologisch gesehen - am Beispiel Familienrecht
Zusammenfassung | Abstract

 


DER PSYCHOPATH UND SEIN GUTACHTER. Ein kriminalbiologisches Szenario
Peter Strasser

Weniger auf strenge Wissenschaftlichkeit bedacht, möchte ich ein kriminologisches Szenario der Zukunft skizzieren. Die Kriminologie wird, wenig überraschend, durch die biologischen Forschungen am menschlichen Gehirn beeinflusst sein. Seit Cesare Lombrosos »geborenem Verbrecher« wurden psychopathische (bzw. soziopathische) Persönlichkeiten in einer paradoxen Art und Weise behandelt: Obwohl ihr Verhalten als durch biologische Ursachen ›determiniert‹ galt, hielt man sie dennoch in den meisten Fällen für verantwortlich - wenigstens für vermindert zurechnungsfähig. Ihre deviante Persönlichkeit wurde, statt wertneutral als gewissensschwach und mitleidensunfähig diagnostiziert zu werden, als eine Verkörperung des ›natürlich Bösen‹ verurteilt. Dieses mythologisierende Schema ist, so vermute ich, dabei, unter dem Einfluss popularisierter Bilder von bestialischen, ja teuflischen Kreaturen wiederbelebt und, auf verfeinertem Niveau, unter den forensischen Gutachtern erneut verbreitet zu werden.

Schlüsselbegriffe: Gerichtsgutachter, freier Wille, Zurechnungsfähigkeit, Neurowissenschaft.


The Psychopath and its Expert. A forensic biological scenario

Rather than delivering a scientific approach, I shall depict a scenario that is supposed to outline some typical characteristics of future criminology. Not surprisingly, criminology will be backed by biological research focusing on the human brain. Since Lombroso’s Born Criminal, psychopathic (resp. sociopathic) individuals have been treated in a paradoxical manner. Although their behavior was seen as ›determined‹ by biological causes, in most cases psychopaths were held responsible — at least diminished responsible — for their misdeeds. Their deviant personality was, instead of being value-neutrally diagnosed as lacking conscience and compassion, condemned as an embodiment of ›natural badness‹. This fairly mythological scheme is, I assume, going to be revived and, at a more sophisticated level, adopted by forensic experts under the influence of popularized images of bestial and even devilish creatures.

Keywords: Forensic expert, free will, legal responsibility, neurosciences.


Peter Strasser
peter.strasser@uni-graz.at

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Neurobiologie als Hilfswissenschaft der Strafjustiz? Zur Psychopathologisierung terroristischer Taten
Lorenz Böllinger

Im aktuellen Diskurs über »Psychopathie«, Neuro-Biologie und bildgebende Verfahren spiegeln sich Machtverhältnisse. Schon lange existiert zwischen Forensischer Psychiatrie und Strafjustiz ein funktionales Einverständnis: die meisten schweren Gewalt- und Sexualdelikte werden zwar als Symptom schwerwiegender Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Gleichwohl wird Schuldfähigkeit attestiert. Gefährlichkeitsdiagnostik und -prognostik sollen nun mit Hilfe der Neurobiologie bzw. bildgebender Verfahren effektiviert werden. Unter Einbeziehung der Erkenntnis, dass auch hochgradig sozial-schädliche, jedoch systemkonforme Verhaltensweisen von Manageinnen und Politikern in diesem Sinne symptomatisch sein können (»successful psychopaths«), wird diese Tendenz kritisiert. Mit schlichten Anlage-Umwelt-Theorien, auf denen solche Verfahren beruhen, können Persönlichkeitsstörungen nicht hinreichend erklärt werden. Die komplexen neuro-biologischen Funktionszusammenhänge interagieren im Lebenslängsschnitt prozesshaft mit sozialen Variablen, wie auch durch Erkenntnisse über Neuroplastizität, Gen-Expression und Epigenetik belegt wird. Auch auf frühkindliche Traumatisierung abstellende psychoanalytische Theorien sind zu ätiologisch begrenzt. In jedem Einzelfall ist eine komplexe, interaktionistische, sozio-psychodynamische Prozessanalyse der konkreten Borderline-Störung erforderlich, welche die Dimensionen Individuum - Situation - Gesellschaft umfasst. Es ist schon rein theoretisch und erst recht ermittlungspraktisch sowie forensisch unmöglich, die entsprechende Komplexität durch bildgebende Verfahren der neueren Hirnforschung zu erfassen, daraus Schlüsse für die Schuldfähigkeit zu ziehen oder sie gar prognostisch und präventiv zu wenden.

Schlüsselwörter: Bildgebende Verfahren; Forensische Psychiatrie; Strafjustiz; Neuro-Biologie; Psychopathie; Einzelfallanalyse


Neuro-Biology Supporting Criminal justice? About Psychopathologizing Terrorist Acts

Current neuro-biological and -imaging discourse represents societal power relations. For a long time there has been a collusion between Forensic Psychiatry and the Criminal Justice System amounting to the exclusion of insanity defense in cases of severe violent and sexual crimes resulting from personality disorder. Neuro-biology oriented psychiatrists are now suggesting to employ neuro-imaging in diagnosis and prognosis of dangerous behavior. Pointing out the highly destructive but socially accepted behavior of managers and politicians can also be symptomatic in that sense (»successful psychopaths«), this tendency is criticized. Severe forms of personality disorder cannot be sufficiently explained by simple nature-nurture theories. Complex neuro-biological functions interact with social variables anywhere on life paths. Insights about neuro-plasticity, gene expression and epigenetics also prove this. Psychoanalytic early childhood traumatization theories are etiologically limited,too. dEvery single case demands concrete, complex, interactionist, socio-psychodynamic process analysis, integrating individual, situative and societal dimensions. Theoretically, in law enforcement and forensically, it proves impossible to represent this complexity via neuro-imaging, to draw consequences with respect to culpability, or to utilize it prognostically or preventively.

Keywords: Imagine methods; forensic psychiatry; criminal justice, neuro-biology, psychopathology, case-by-case analysis


Lorenz Böllinger
boe@uni-bremen.de

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Gutachtenpraxis: Einflussökonomie und Institutionsversagen
Dirk Fabricius

Der im Folgenden vorgestellte Fall gleicht dem Fall Mollath darin, dass falsche Gutachten zu Fehlurteilen führten. Diese hatten langjährige, rechtswidrige Freiheitsberaubung der Verurteilten zur Folge. Ich habe mir die Frage vorgelegt, ob es sich dabei um ›bedauerliche Einzelfälle‹, um Solitaires handelt. Die andere mögliche Antwort: Im strafprozessualen Feld bringen systemisch induzierte Einflüsse die Beteiligten von dem gesetzlich vorgeschriebenen wahrheitssuchenden Kurs ab. Diese ›herausragenden‹ Fälle unterscheiden sich von allen anderen darin, dass solche Einflüsse besonders zahlreich, kräftig und additiv wirken. Die Alternativhypothese ist weitaus plausibler.

Schlüsselwörter: Falsche Sachverständigengutachten; Institutionen; Einflussökonomie, forensische Psychiatrie; Luzifer-Effekt


Practice of expert opinion: Economy of influence and failure of the institution

The case, which is subject of this article, is similar to the Mollath-case insofar, as wrong expert opinions led to wrong judgements. In both cases these resulted in long, unlawful deprivation of liberty. 
I raise the question, if these cases are unfortunate exceptions, solitaires. The alternative answer is: in the field of criminal justice influences of systemic character cause the involved persons to deviate from the path of finding the truth, which is the path of the law. These prominent cases differ from other cases insofar, that such influences are especially numerous, strong and additive. This alternative hypothesis is far more plausible.

Keywords: wrong experts opinions; institutions; economy of influence; forensic psychiatry; Lucifer-effect


Dirk Fabricius
fabricius@jur.uni-frankfurt.de

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Anders Behring Breivik
Die Rolle der Psychiatrie im Rechtswesen
Jochem Stroeve

Der auf eine Bachelorarbeit beruhende Beitrag beschäftigt sich mit dem Prozess gegen Anders Behring Breivik, der im Juli 2011 zwei Anschläge in Norwegen bei denen 77 Menschen ums Leben kamen. Der Beitrag zeichnet den Prozessverlauf in den für den Begutachtungsprozess relevanten Teilen nach, beschäftigt sich mit den forensischen Gutachten sowie der Kritik an Ihnen. Letztlich wird ihre Bedeutung für das Urteil kritisch gewürdigt.

Schlüsselwörter: Anders Behring Breivik, Massenmord, forensische Gutachten


The role of psychiatry in criminal justice

Basing on a bachelor thesis this article is on Anders Behring Breivik, who killed 77 people in Norway in July 2011.The article presents the process according to its relevance of the assessment process, dealing with the forensic expert opinions and criticism of the expert opinions. Finaly, their importance of the expert opinions for the judgment is critically assessed.

Keywords: Anders Behring Breivik, mass murder, forensic report


Jochem Stroeve
jstroeve@me.com

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Gutachten unplugged: Epistemische Kommentierung von Expertenmacht und -murks
Ulrich Kobbé

Der Beitrag schließt an die Darstellung der Begutachtungs- und Urteilsdilemmata im Fall des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik durch Stroeve (in diesem Heft) an. Auf der Ma¬trix erkenntnistheoretischer Arbeiten von Bachelard, Canguilhem und Althusser werden Charakteristika der Gutachtenerstattung in den als ›konjektural‹ einzuordnenden Wissenschaften der Psychiatrie und Psychologie herausgearbeitet, hinsichtlich komplementärer Diskursformen von Wissenschaft : Ideologie : Theorie : Praxis : Ethik diskutiert und auf soziale Repräsentationen von Wissenschaft und ›common sense‹ bezogen.
Am Beispiel Breiviks werden Probleme gutachterlicher Ideologie benannt, vor der Matrix eines dichotomen ›bad or mad‹ Versuchungen einer Pathologisierung politisch Radikalisierter aufgezeigt, die Notwendigkeit ethnopsychiatrischer bzw. -psychologischer Feldkompetenz hergeleitet, Implikationen objektivierender Dekonstruktion bzgl. einer ethisch gebotenen Re-Instituierung des Täters erörtert sowie die Aufspleißung gutachterlicher Wissenschaftlichkeit in eine reduktionistische Methodik und eine positivistische Wissenschaftsideologie belegt.

Schlüsselbegriffe: Begutachtung, epistemischer Bruch, Gutachtenkritik, Gutachterkritik, Rechtssubjekt, Wissenschaftskritik


Expert’s opinion unplugged: Epistemic Commentary of the Expert’s Power and Botch

This contribution refers to the description of the expert’s dilemmas concerning the case of the Norwegian assassin Anders Behring Breivik. By means of the epistemological research of Bachelard, Canguilhem and Althusser as reflecting matrix, the author works out the characteristics of forensic testifying in conjectural sciences like psychiatry and psychology. Complementary discursive forms of science : ideology : practice : ethics are discussed and applied to social representations of science and common sense.
Breivik’s case is used to exemplify problems of the expert’s ideology, of a temptation to pathologize political extremists in context of a bad-or-mad-dichotomy. The author discusses the need of ethnopsychiatric and ethnopsychological competences as well as implications of objectivating deconstruction with reference to an ethically necessary re-instituting of the offender. He gives evidence for a splitting of the expert’s scientific standards in a reductionistic method and a positivistic scientific ideology.

Keywords: testifying, epistemic break, expert’s problems, legal subject, philosophy of science


Ulrich Kobbé
dpl-01119@lippemail.de

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N = 1oder: "Nach bestem Gewissen"? Gutachten in Strafverfahren
Michael Stiels-Glenn

Die Strafjustiz greift zunehmend auf Gutachten von Psychosachverständigen zurück, so bei Schuldfähigkeitgutachten, aber auch bei Lockerungs- und Entlassgutachten im Maßregel- und Strafvollzug. Der Zwangskontext sorgt für eine klare Rollenzuweisung von Gutachter und Probanden. Erwartungen der Gesellschaft und der Gerichte, Angst vor Gutachtenfehlern und eine ökonomische Abhängigkeit von Sachverständigen sind im Prozess der Begutachtung selten bewusst. Noch tiefer liegen erkenntnistheoretische Hindernisse.

Schlüsselwörter: Schuldfähigkeits- und Lockerungsgutachten, Erkenntnistheorie, Ethik, Fehlerquellen 


N =1 or »In all conscience«? Psychological reports in criminnal proceedings

The criminal justice system relies increasingly on psychiatric and psychological expert witnesses in questions concerning incarceration, loosening of restrictions and releases from forensic psychiatry and imprisonment. as well as responsibility for their actions. The system of constraint defines exactly the professional roles for expert witnesses and inmates to be evaluated. The expectations of society and courts, the fear of making mistakes and an economic dependency of expert witnesses are rarely reflected and discussed in the professional community. Even more influence in forensic evaluations have epistemological obstacles.

Keywords: Expert witnesses in forensic evaluations - Epistemology - Ethics


Michael Stiels-Glenn
stiels.glenn@gmail.com

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Psychologische Begutachtung kritisch-psychologisch gesehen - am Beispiel Familienrecht
Günter Rexilius

Begutachtung von Menschen ist ein Betätigungsfeld für PsychologInnen, das sich mit seinen theoretischen und methodischen Grundlagen schwer tut. Anhand forensischer Begutachtung, speziell im Familienrecht, wird aufgezeigt, auf welche Grenzen ein traditionelles Verständnis von psychologischer Tätigkeit im rechtlichen Feld, welche Möglichkeiten eine solche Aufgabe aber auch bietet, um mit den Mitteln eines kritisch-psychologischen Selbstverständnisses mit den Menschen, die den psychologischen Sachverständigen gewissermaßen anvertraut werden, konstruktiv und kooperativ zusammen zu arbeiten. Metatheoretische, theoretische und methodische Grundlagen einer solchen subjektorientierten Arbeitsweise werden erörtert und das konkrete Vorgehen im Einzelnen skizziert.

Schlüsselwörter: Begutachtung, Familienrecht, subjektorientierte Arbeitsweise, traditionelles vs. kritisches Wissenschaftsverständnis, Kindeswohl, Nachscheidungsfamilie


A critical point of view on psychological assessment

Psychologists in the field of assessment of people are struggling with its theoretical and methodological foundations. Using forensic assessment, especially in family law, the limits of psychological actions in law context are discussed on the one hand. On the other hand the possibilities of collaborative and constructive cooperation with people on the basis of a critical psychological sel

-conception are discussed. Metatheoretical, theoretical and methodological foundations of such a subject-oriented approach are discussed and the concrete procedure in detail is outlined.

Keywords: assessment, family justice, subject-oriented theory and practice, traditional vs. critical scientific understanding, child welfare, post-divorce family


Günter Rexilius
guenter.rexilius@t-online.de

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