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Psychologie & Gesellschaftskritik

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2010-3 (135)

Editorial

Ulrich Kobbé
Verbrechen und Strafen: Beccaria con Foucault. Eine Re-Lektüre rechts- und gesellschaftsphilosophischer Grundlagen
Zusammenfassung | Abstract

Michael Stiels-Glenn
Muss Strafe sein? Oder: Das gute Gewissen der Exekutoren
Zusammenfassung | Abstract

Lorenz Böllinger
Staatliches Strafen: Eine psychosoziale Rekonstruktion
Zusammenfassung | Abstract

John Khairi-Taraki
Strafe, ein apogrypher Befehl - ein canettisches Gedankenexperiment
Zusammenfassung | Abstract

Tobias Brendgen
Die ›lebende Materie‹ der neurowissenschaftlichen Verbrechensforschung
Zusammenfassung | Abstract

 


Verbrechen und Strafen: Beccaria con Foucault. Eine Re-Lektüre rechts- und gesellschaftsphilosophischer Grundlagen
Ulrich Kobbé

Der Beitrag bringt einen Aufriss der von der Aufklärung bis in die Gegenwart reichenden Strafrechtsreform. Hierbei dienen Cesare Beccaria und Michel Foucault als Zeitzeugen, Kritiker wie Impulsgeber und Oktanten: Die Re-Lektüre ihrer Arbeiten ermöglicht, die gesellschaftliche Funktion von Strafe, den Übergang von der Straf- zur Disziplinargesellschaft, die Substitution des legalistischen Strafdiskurses durch einen politischen, pragmatisch-polizeilichen Kontroll- und Überwachungsdiskurs nachzuzeichnen.

Schlüsselwörter: Beccaria, Foucault, Kontrolle, Disziplinargesellschaft, Strafrecht


Crimes and punishment: Beccaria con Foucault. A re-reading of philosophical basics inherent in jurisprudence and socio-politics

The contribution outlines the criminal law’s reforms from the Enlightment up to the present time. Philosophers like Cesare Beccaria and Michel Foucault are supposed to serve as witnesses of the times, as faultfinders, as movers and shakers, and as octants: The re-reading of their work allows retracing the social function of punishment, the transition from a punitive society to a disciplinary society, the substitution of the legal discourse of punishment by a pragmatic and policy-making discourse of control and policing.

Key words: Beccaria, Foucault, policing, punitive society, criminal law


Dr. Ulrich Kobbé
ulrich@kobbe.de

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Muss Strafe sein? Oder: das gute Gewissen der Exekutoren
Michael Stiels-Glenn

Seit den Anmerkungen Michel Foucaults zur Abkehr der Körper- hin zu den Freiheitsstrafen haben sich Einstellung zum Strafen in Deutschland ständig verändert. Dabei ist das Strafrecht viel weniger neutral als es scheint: Vielfältige gesellschaftliche Interessen führen zu raschen Veränderungen der Rechtsmaterie. Dabei drängt sich zunehmend der Präventionsgedanke in den Vordergrund: Freiheitsentzug, um neue Delikte zu verhindern. Das Schuldprinzip droht dabei ausgehebelt zu werden.

Schlüsselwörter: Präventionsparadigma, Schuldstrafrecht, Tätertherapie


Is punishment necessary? The clean conscience of executors

The attitude to punishment in Germany has changed progressivly since Michel Foucault described the developement from corporal punishment to imprisonment. Criminal law is not as neutral as it appears: Diverse social interests lead to rapid changes in jurisdiction. The idea of preventing new crimes by incarcerating offenders is getting to be the central idea. The principle of guilt is loosing it’s central importance.

Key words: paradigm of prevention, criminal law based on the requirement of personal guilt, offender therapy


Stiels-Glenn, Michael
stiels-glenn@online.de

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Staatliches Strafen: Eine psychosoziale Rekonstruktion
Lorenz Böllinger

Schuld und Strafe sind keine Naturgegebenheiten, sondern in einem Jahrtausende alten gesellschaftlichen Entwicklungsprozess entstandene Konstrukte. Aus praxisinformierter wissenschaftlicher Sicht und damit wiederum im Interesse wirkungsvoller Praxis sind die Bedingungen und Verläufe dieses Entwicklungsprozesses zu untersuchen. Sowohl im individuellen als auch im kollektiven Erleben von Schuldzuweisung und Schuldgefühl, von Strafen und bestraft Werden manifestieren sich Machtverhältnisse und die dazu gehörigen Affekte. Die Realität des Strafens ist immer sowohl ein wieder Erleben von internalisierten, gegebenenfalls sexualisierten Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen als auch eine Widerspiegelung von sozio-ökonomischen Machtverhältnissen. Im Geiste einer aufgeklärten, humanen, an Nachsozialisation statt an schlichter Ausschließung orientierten Kriminalpolitik, aber auch im Interesse eines ökonomischen Umgangs mit menschlichen Ressourcen ist die Reflexion und Begrenzung der Machtbeziehungen im konkreten forensischen Wirkungsfeld unerlässlich.

Schlüsselwörter: Schuld, Strafe, Schuldattribution, Schuldgefühl, Macht, Internalisierung von Machtstrukturen


The Meaning of Punishment by the State: A Psycho-social Reconstruction

Rather than as facts given by nature, guilt and punishment must be considered a constructs which developed in long-lasting social processes. In a perspective informed by practice and in the interest of efficiency it is worthwhile to research conditions and trajectories of this process. Both in individual and in collective experience of ascription and experiencing of guilt the social context of power relations and pertaining affects are reflected. The reality of punishment always represents the re-experiencing of internalised, possibly sexualised, relationships of power and dependence. It also mirrors socio-economic power conditions. In the spirit of an enlightened, humane crime policy, interested in socialisation rather than in mere exclusion, but also in the interest of an economic and efficient handling of human resources, the reflexion and limitation of power relationships in any concrete forensic field appears indispensable.

Key words: guilt, punishment, attribution of guilt, guilt feeling, power, internalisation of power structures


Prof. em. Dr. Lorenz Böllinger
boe@uni-bremen.de

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Strafe, ein apokrypher Befehl - ein canettisches Gedankenexperiment
John Khairi-Taraki

Der Befehl wirkt sich negativ auf das Individuum aus. Ebenso wirkt sich Strafe negativ auf den Einzelnen aus. Es bestehen Parallelen zwischen Strafe und Befehl. Beide kommen von Außen, wirken auf den Einzelnen, generieren und reproduzieren Machtverhältnisse und sind eingebunden in bestimmte Zwangssysteme. Strafe und Befehl weisen nicht nur Parallelen auf, sondern Strafe ist selbst Befehl bzw. besitzt Befehlscharakter. Unserem Verständnis von Strafe liegt ein Befehlscharakter zugrunde. Der Bestrafte soll sich bessern und nicht rückfällig werden. Dies ist erwiesenermaßen eine Fehlannahme. Es liegt an dem Charakter des Befehls, wie Elias Canetti ihn herausarbeitet. 1960 formuliert Canetti in Masse und Macht, außerhalb jeglicher akademischen Wissenschaften und anerkannten theoretischen Diskussionen, eine Befehlstheorie, die auch auf Strafe, gängige Strafpraxen und das Strafsystem anzuwenden ist, wie gezeigt werden kann.

Schlüsselwörter: Gefängnis, Zwang, Zufügung von Übel, Strafe als Befehl, Strafzweck


Punishment as an apocryphal command - a Canettian experiment of thought

Orders and commands affect the individual negatively. So does punishment. Both order and punishment are external and integrated in a certain system of constraints. Punishment as well as order generate and reproduce hierarchies. Not only are there some parallels between punishment and order but punishment itself is an order, respectively has certain characteristics of an order, or has become an order in its theoretical development. The punished has to ameliorate and should not reoffend. Evidentially it’s a misconception that punishment meliorates the delinquent. This is due to the character of the command, which Elias Canetti described and elaborated in Masse und Macht in 1960, at the time a work outside of all academic scholarship and recognized theoretical discussion. As I will show, Canetti formulated a theory of command, which can be applied to punishment, punitive practices, and the penal system.

Key words: prison; constraint; infliction of evil; punishment as command; function of punishment


John Khairi-Taraki
johnwais@yahoo.de

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Die ›lebende Materie‹ der neurowissenschaftlichen Verbrechensforschung
Tobias Brendgen

Der Essay möchte die aktuelle Suche nach dem typischen ›Verbrechergehirn‹ kritisch hinterfragen. Die Zukunftsversion einiger Neurowissenschaftler ist es, nahezu jedem (potenziellen) Straftäter ins Gehirn zu blicken, denn dort wird der eigentliche Tatort vermutet. Damit geht eine Fundamentalkritik am Schuldstrafrecht einher, die in ihrem Kern eine Abschaffung des Konzeptes der Schuld und des freien Willens zu Gunsten einer Biologisierung des Strafrechts fordert. Der einstmals schuldige Straftäter wird zum Sklaven seines Körpers degradiert. Aus einem konstruktivistischen Ansatz heraus soll hier ein momentan boomendes Körperbild auf seine historischen Bedingungen hinterfragt werden. Kann es sein, dass in einer logisch-kausalen Verbrechenserklärung der alte Mythos vom Bösen als Abweichung der Norm belebt wird?

Schlüsselwörter: Das Böse, Die Schuld, Der Verbrecherkörper, Die Neurowissenschaften


The "living matter" of neuroscientific crime research

This article critically challenges the search for the typical "criminal mind". It is the vision of some neuroscientists to gain insight into the mind of criminals where they suspect the actual site of crime. This view is followed by a fundamental critique concerning the system of criminal law based on the requirement of personal guilt. The concepts of guilt and free will are abandoned in favor of the biologization of criminal law where the former guilty delinquent is degraded to a mere slave of his body. Based on a constructivist approach, this article questions a currently popular body image by looking at its historical conditions. Is is possible, that a causal explication enlivens the old myth of the evil as deviation from normal conditions?

Key words: ill, guilt, body of criminal, neuro science


Tobias Brendgen
t_brendgen@web.de

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