Klaus Hoffmann, Bernd Dimmek, Reinhard Eher, Markus G Feil, Michael Günter, Dirk Hesse, Lutz-Peter Hiersemenzel, Tilman Kluttig, Uta Kröger, Jutta Muysers & Thomas Ross
Editorial
Friedemann Pfäfflin
Rückblicke, Einschnitte, Ausblicke – aus 50 Jahren § 63er MRV
Michael Nerad
Wo Zwei oder Drei in meinem Namen versammelt sind – Gruppenanalyse in der stationären forensischen Psychotherapie
Jan Querengässer
Entziehungsanstalten am Limit – Normaler Evolutionsprozess oder drohender Kollaps?
Alexander Baur
Schuldig oder nicht – Brauchen wir eine Neukonzeption des Maßregelrechts? Überlegungen zur Unterbringung in der Entziehungsanstalt
Eva Bloemers, Vivienne de Vogel & Uta Kröger
Kognitiv verhaltenstherapeutisches Behandlungsprogramm zur Verbesserung des Selbstbildes bei forensisch psychiatrischen Patienten mit einer psychotischen Störung und Paranoia. Eine randomisierte kontrollierte Studie
Henriette van der Maeden & Uta Kröger
Kontinuität und Vernetzung in der forensischen Nachsorge: The Importance of building bridges
Thomas Ross, Johanna Ade, Kim van Oorsouw, Karoline Klinger, Tilman Kluttig, & Jan Bulla
Rauchen und Nichtrauchen in forensisch-psychiatrischen Settings (§ 64 StGB). Gibt es Zusammenhänge mit dem Outcome?
Lena-Marie Langenstück, Boris Schiffer & Jan Querengässer
Die Entwicklung der Gefährlichkeit von gemäß § 64 StGB untergebrachten Patienten – Vorstellung eines multizentrischen Forschungsprojekts
Rückblicke, Einschnitte, Ausblicke – aus 50 Jahren § 63er MRV
Friedemann Pfäfflin
Zusammenfassung
Anknüpfend an die abschreckenden Verhältnisse, die der Autor anlässlich seiner ersten Besuche in psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalten in den 1960er Jahren beobachtet hatte, beschreibt er aus Anlass des Wechsels in der Leitungsfunktion der Klinik für Forensische Psychiatrie des Zentrums für Psychiatrie Reichenau Einschnitte, seither erfolgte Reformbemühungen und andere Zäsuren aus der weiteren Geschichte des Maßregelvollzugs gemäß § 63 StGB, von denen sich manche positiv ausgewirkt haben, andere aber auch gegenteilige Effekte hatten.
Schlüsselwörter: Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB; positive und negative Auswirkungen von Reformen und anderen Einschnitten in den zurückliegenden ca. 50 Jahren
Reflections on the past 50 years of high secure detention in forensic psychiatric hospitals in Germany
Abstract
On the occasion of the farewell symposium in honour of the director of the forensic psychiatric clinic of Reichenau, the author reflects the history of high secure detention in forensic hospitals during the past fifty years in Germany. Starting from the desolate conditions the author had observed when he first visited long-term psychiatric (forensic) hospitals in the 1960s, he focusses on movements of reform and other breaks during the past fifty years, some of which resulted in positive changes of the conditions of court-ordered detention in forensic hospitals while others had opposite outcomes.
Keywords: Court-ordered detention in psychiatric forensic hospitals in Germany. Positive and negative developments during the past 50 years
Prof. Dr. med. Friedemann Pfäfflin
Ulrichstr. 1
89077 Ulm
friedemann.pfaefflin@uni-ulm.de
Wo Zwei oder Drei in meinem Namen versammelt sind – Gruppenanalyse in der stationären forensischen Psychotherapie
Michael Nerad
Zusammenfassung
Der vorliegende Aufsatz befasst sich mit der Bedeutung der theoretischen Grundannahmen der Gruppenanalyse und der daraus abgeleiteten gruppenanalytischen Behandlungstechniken in der Konzeptualisierung psychischer Störungen und deren Behandlung im klinisch-stationären Setting. Der Autor vertritt die These, dass gruppenanalytisches Arbeiten weniger das Anwenden spezifischer verfahrenstypischer Interventionen bedeutet, sondern vielmehr in einer bestimmten Haltung besteht, die neben den Symptomen des Patienten und dessen individueller Psychodynamik der Ebene des Intersubjektiven, dem Gruppenprozess als eigener Gestalt, Aufmerksamkeit schenkt. Dies wird anhand einer kurzen Kasuistik sowie verschiedener Überlegungen zur stationären forensischen Psychotherapie erläutert. Daneben wird auf die methodischen Probleme der Erforschung von Intersubjektivität und Gruppenprozessen im aktuellen Forschungsparadigma eingegangen.
Schlüsselwörter: Gruppenpsychotherapie, Gruppenanalyse, Intersubjektivität, Gruppentherapieforschung, Forensische Psychotherapie
Where Two or Three are Gathered in My Name – Group Analysis in Inpatient Forensic Psychotherapy
Abstract
This paper deals with the theoretical and practical impact of group analysis in the understanding and treatment of psychiatric disorders in clinical setting. The author claims that the impact of group analysis does not lie in the use of specific techniques but in a therapeutic stance that highlights – beneath the symptoms of the individual patient and their specific psychodynamics – the meaning of the group process as a whole. This is illustrated by a short casuistic from a forensic inpatient setting. Further, methodological problems of empirical research on intersubjectivity and group-processes are discussed.
Keywords: Group therapy – group analysis – intersubjetivity – group therapy research – forensic psychotherapy
Dipl.-Psych. Michael Nerad
Zentrum für Psychiatrie Reichenau
Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie
Feursteinstr. 55
78479 Reichenau
m.nerad@zfp-reichenau.de
Entziehungsanstalten am Limit – Normaler Evolutionsprozess oder drohender Kollaps?
Jan Querengässer
Zusammenfassung
Die Institution Entziehungsanstalt befindet sich zur Zeit in einer Phase des Wandels, die mit großen Herausforderungen für alle Beteiligten verbunden ist. Der vorliegende Beitrag bemüht die Metapher von Psychotherapie bei Katastrophisierungstendenzen, um die gegenwärtigen Veränderungen rund um Unterbringungen gemäß § 64 StGB „breiter“ und ergebnisoffener zu denken und zu verstehen. Folgende Fakten und Phänomene rund um die aktuelle Lage der Entziehungsmaßregel werden diskutiert und in negative wie positive Aspekte differenziert: Zunahme der Unterbringungsanordnungen nach § 64 StGB, „günstige“ Halbstrafenregelung als Motivator, Quote der Erledigungen wegen Aussichtslosigkeit bei ca. 50%, Therapieabbruch als Prädiktor erneuter Straftaten, Patient*innen werden „krimineller“ sowie Zunahme an Patient*innen mit Migrationshintergrund. Aus der Diskussion werden „therapeutische Baustellen“ abgeleitet. Damit gemeint sind Ansatzpunkte für erkennende Gerichte und gutachterliche Sachverständige, für Politik und Träger der Maßregelvollzugskliniken sowie für die Kliniken selbst, wie auf die Herausforderungen reagiert werden könnte. Für die Behandler*innen ist es essenziell, die anstehenden Veränderungen mitzugestalten (und dies auch einzufordern!), statt passiv auf Gesetzesänderungen zu warten oder sich „in der Ohnmacht einzurichten“. Strukturelle Verbesserungen auf der Ebene der Gesetzgebung müssen Hand in Hand gehen mit praktischen Anpassungen vor Ort, also in den Gerichtssälen und Kliniken.
Schlüsselwörter: Maßregelvollzug, Entziehungsanstalt, Forensische Psychiatrie, Abhängigkeitserkrankungen
Forensic addiction treatment acc. to sec. 64 of the German Criminal Code (StGB) at its limits – normal evolution or pending collapse?
Abstract
Forensic addiction treatment acc. to sec. 64 of the German Criminal Code (StGB) is subject to changes in many aspects, posing big challenges to all involved parties. The present article uses psychotherapy in case of a tendency towards catastrophizing as a metaphor to think and understand the current changes in broader and “open-minded” sense. The following facts and phenomena are discussed and differentiated in positive and negative aspects: increase of forensic addiction treatment order figures, favorable legal incentives to reduce the concurrent prison sentence as a motivator to apply for addiction treatment, the proportion of about 50% of patients with premature discharge, therapy drop-out as a risk factor for re-delinquency, more and more “criminal” patients, growing numbers of patients with non-German background. These discussions lead to concrete starting points, where and how the involved parties, namely courts and forensic expert witnesses, policymakers and institutions, as well as the clinics themselves could react to the current situation. It seems to be essential for all involved parties to help shape the upcoming changes, instead of passively awaiting amendments or even ensconcing themselves in helplessness. Structural improvements of the legal frame have to occur hand in hand with practical adaptations on the spot, i.e. inside the clinics and the courtrooms.
Keywords: Addiction treatment order, forensic psychiatry, substance abuse, involuntary addiction treatment
Dr. Jan Querengässer
Maßregelvollzugsklinik Herne
Wilhelmstraße 120
44649 Herne
jan.querengaesser@lwl.org
Schuldig oder nicht – Brauchen wir eine Neukonzeption des Maßregelrechts?
Überlegungen zur Unterbringung in der Entziehungsanstalt
Alexander Baur
Zusammenfassung
Die Entziehungsanstalt des § 64 StGB scheint an ihrer Belastungsgrenze angekommen. Die Belegungszahlen sind hoch und allenthalben wird ein zunehmend therapiefeindliches Klima in den Anstalten beklagt. Beides soll damit zusammenhängen, dass die Unterbringung nach § 64 StGB immer häufiger auch gegen schuldfähige Straftäter mit teilweise hohen Begleitfreiheitsstrafen angeordnet wird. Dies sei eine Fehlentwicklung, die sinnvolles Arbeiten erschwere und das Potential der Maßregel insgesamt gefährde. Der vorliegende Beitrag nimmt diese Kritik auf und zum Anlass für Überlegungen zur Neugestaltung des Rechts der strafrechtlichen Sanktionen. Dem Text liegt ein vom Verfasser bei den 34. Expertengesprächen Maßregelvollzug des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe am 2. September 2019 in Münster gehaltener Vortrag zugrunde. Der Vortragsstil ist beibehalten; einzelne Nachweise wurden ergänzt.
Schlüsselwörter: Entziehungsanstalt, Maßregelrecht, Maßregelvollzug, Psychiatrieunterbringung, Sicherungsverwahrung, Strafvollzug
Guilty or not guilty – Do we need a new conception of hospital order treatment law?
Considerations on placement of patients in addiction treatment facilities
Abstract
The treatment facilities of section 64 of the German criminal code seem to be reaching their limits. Occupancy rates are high and there are widespread complaints that the climate in these institutions is increasingly hostile to therapy. Both problems are supposed to result from the fact that the courts tend to use the treatment order of section 64 for a group of offenders who were not insane when they committed the crime and are also additionally sentenced to long prison stays. This development is said to be damaging to productive work with detainees and jeopardizing the potential of the measure as a whole. On the occasion of and as a reaction to this criticism, the following article considers reforms to the law of criminal sanctions. The text is based on a lecture the author has given on the ”34. Expertengespräche Maßregelvollzug des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe“ on September, 2nd in Münster. The manuscript has been amended with a few footnotes.
Keywords: custodial addiction treatment order, custodial measures, enforcement of measures, imprisonment law, mental hospital order, preventive detention
Prof. Dr. jur. Alexander Baur, M.A./B.Sc.
Universität Hamburg
Fakultät für Rechtswissenschaft
Rothenbaumchaussee 33
20148 Hamburg
ab@alexander-baur.de
Kognitiv verhaltenstherapeutisches Behandlungsprogramm zur Verbesserung des Selbstbildes bei forensisch psychiatrischen Patienten mit einer psychotischen Störung und Paranoia. Eine randomisierte kontrollierte Studie
Eva Bloemers, Vivienne de Vogel & Uta Kröger
Zusammenfassung
Menschen mit einer psychotischen Störung haben häufig ein negatives Selbstbild und damit ein geringes Selbstwertgefühl. Untersuchungen haben auch gezeigt, dass Paranoia direkt mit negativen Vorstellungen über das Selbst zusammenhängen kann. Sich minderwertig zu fühlen und an Paranoia zu leiden, kann zu Verletzlichkeit und Aggression führen. In der forensischen Psychiatrie gibt es eine Kategorie stationärer Patienten mit einer psychotischen Erkrankung und Paranoia. Diese Patienten leiden schwer unter ihrer Störung, die obendrein ein Prädiktor für einen ungünstigen Behandlungsverlauf ist und eine lange Verweildauer innerhalb der (forensischen) Psychiatrie nach sich zieht. In einer randomisierten kontrollierten Studie wird die Wirksamkeit des Competitive Memory Training (COMET), eines kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsprogramms zur Verbesserung des Selbstbildes bei in der Forensik untergebrachten psychotischen Patienten, die ebenfalls an Paranoia leiden, evaluiert und untersucht, ob ein positiveres Selbstbild auch zur Verringerung der Paranoia dieser Patienten führt. Die an einer kleinen Stichprobe durchgeführte Studie ergab eine signifikante Verbesserung des Selbstwertgefühls, aber keine Verringerung der Paranoia bei den Patienten, die an COMET teilnahmen.
Schlüsselwörter: Competitive Memory Training, Kognitive Verhaltenstherapie, Psychotische Patienten, Paranoia, Forensische Psychiatrie
Cognitive-behavioural treatment program to improve self-image in forensic psychiatric patients with a psychotic disorder and paranoia. A randomized controlled trial
Summary
Low self-esteem in individuals with a psychotic disorder is common. Research has also shown that paranoia may directly build on negative ideas about the self. Feeling inferior and suffering from paranoia may lead to feelings of vulnerability and aggression. In forensic psychiatric care there is a category of inpatients suffering from psychosis and paranoia. Features of this group are that patients suffer severely and that psychosis with paranoia predicts poor clinical outcome and chronic (forensic) hospitalisation. In a randomized controlled trial in the Netherlands the efficacy of Competitive Memory training (COMET) was evaluated. COMET is a cognitive behavioural intervention aimed at improving self-esteem in psychotic patients who also suffer from paranoia. Furthermore, it was examined whether improvement of self-esteem leads to reduction of paranoia in forensic inpatients. The results of the small scale study showed a significant improvement on self-esteem, but no reduction on paranoia in patients who received COMET.
Keywords: Competitive Memory Training, cognitive behavioural therapy, psychotic patients, paranoia, forensic psychiatry
Uta Kröger
Klinische Psychologin
Van der Hoeven Kliniek
Willem Dreeslaan 2
NL-3515 GB Utrecht
ukroger@dfzs.nl
Kontinuität und Vernetzung in der forensischen Nachsorge
Henriette van der Maeden & Uta Kröger
Zusammenfassung
Für eine sichere Reintegration forensischer Patienten in die Gesellschaft ist eine qualifizierte Nachsorge unerlässlich. Insbesondere aus dem stationären Maßregelvollzug entlassene Patienten sollten in der für sie schwierigen Übergangsphase ausreichend unterstützt werden, um krisenhaften Entwicklungen und Deliktrückfällen frühzeitig mit adäquatem Risikomanagement entgegenzuwirken. Dies geschieht möglichst in enger Zusammenarbeit mit am Resozialisierungsprozess beteiligten komplementären Einrichtungen, die den Patienten eventuell auch nach seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug weiterbetreuen. Diese Kooperation bei der Weiterversorgung stellt oft für alle Beteiligten, nicht zuletzt den Patienten selbst, eine Herausforderung dar. Welche Faktoren eine effiziente Vernetzung der Nachsorge erleichtern und rückfallpräventiv wirken, ist noch kaum untersucht. Allgemeingeltende Richtlinien gibt es daher nicht. Man kann jedoch aus Ansätzen, die effektiv erscheinen und sich bewährt haben, lernen. In diesem Beitrag wird ein solches Praxisbeispiel beschrieben.
Schlüsselwörter: Forensische Nachsorge, Vernetzung, forensische Psychiatrie
Continuity and networking in forensic aftercare: The Importance of building bridges
Summary
Qualified aftercare is essential for the safe reintegration of forensic patients into society. In particular, patients released from inpatient measures should be given sufficient support in the transition phase, which is difficult for them. Adequate risk management is necessary to prevent critical developments and relapses in delinquent behaviour. This is done, if possible, in close cooperation with complementary institutions involved in the re-socialization process, who may continue to look after the patient even after he has been released from the penal system. This cooperation in aftercare often poses a challenge for all parties involved, not least the patient himself. What factors facilitate efficient networking of aftercare and prevent relapse has hardly been investigated. There are therefore no general guidelines. However, you can learn from approaches that appear effective and have proven themselves. In this article, such a practical example is described.
Keywords: Forensic aftercare, networking, forensic psychiatry
Uta Kröger
Klinische Psychologin
Van der Hoeven Kliniek
Willem Dreeslaan 2
NL-3515 GB Utrecht
ukroger@dfzs.nl
Rauchen und Nichtrauchen in forensisch-psychiatrischen Settings (§ 64 StGB).
Gibt es Zusammenhänge mit dem Outcome?
Thomas Ross, Johanna Ade, Kim van Oorsouw, Karoline Klinger, Tilman Kluttig, & Jan Bulla
Zusammenfassung
In Deutschland werden Personen, die im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch oder -abhängigkeit strafbewährte Handlungen begangen haben, häufig in die psychiatrische Behandlung gemäß § 64 StGB abgeurteilt. Die Reduktion von Gefährlichkeit sowie die Beendigung des Substanzmissbrauchs sind die Hauptziele der Behandlung. Obwohl die Patienten in dieser Zeit von Alkohol und illegalen Substanzen abstinent sind bzw. es sein sollen, rauchen viele immer noch Zigaretten. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Raucherentwöhnung im Hinblick auf die langfristige Abstinenz von anderen Substanzen oder Medikamenten vorteilhaft sein kann. Darüber hinaus wird vermutet, dass sowohl das Rauchen als auch die Raucherentwöhnung bzw. das Nicht-Rauchen mit dem Behandlungsergebnis in Verbindung stehen könnten. Die Daten der vorliegenden Untersuchung stammen aus einer großen deutschen forensischen Datenbank. Die Ergebnisse zeigen, dass das Rauchen bzw. die gelungene Raucherentwöhnung einen signifikanten Beitrag zur Identifizierung von Personen mit regulärer Entlassung und Personen, deren Behandlung wegen Aussichtslosigkeit vorzeitig beendet wird, leisten kann. Theoretische Konzepte im Zusammenhang mit dieser Thematik und klinische Implikationen werden diskutiert.
Schlüsselwörter: Forensische Psychiatrie, Substanzabhängigkeit, Rauchen, § 64 StGB
Smoking and non-smoking in forensic-psychiatric settings in patients with substance abuse. Are there connections with the outcome?
Abstract
In Germany, individuals who committed criminal acts in relation with substance abuse or dependence may be referred to psychiatric treatment according to section (sec.) 64 of the German penal code. In such cases, substance abuse is one of the main targets during treatment. Theoretically, patients do not use alcohol and illicit drugs during treatment, but many continue to smoke cigarettes. Research has shown that smoking cessation can be beneficial in terms of long-term abstinence from other drugs, but also that non-smoking may be associated with successful treatment outcome in forensic settings. In this paper, it is hypothesized that smoking and smoking cessation may both be associated with treatment outcome. Data were drawn from a large South German forensic database. Findings indicate that smoking/non-smoking and smoking cessation can significantly tell apart individuals who are regularly discharged from those whose treatment is no longer continued because it would be useless to do so. Related theories and clinical implications are discussed.
Keywords: smoking, forensic psychiatry, substance addiction, section 64 of the German penal code
Thomas Ross
Zentrum für Psychiatrie Reichenau
Feursteinstraße 55
78479 Reichenau
t.ross@zfp-reichenau.de
Die Entwicklung der Gefährlichkeit von gemäß § 64 StGB untergebrachten Patienten – Vorstellung eines multizentrischen Forschungsprojekts
Lena-Marie Langenstück, Boris Schiffer & Jan Querengässer
Zusammenfassung
Bestehende Studien zur Gefährlichkeit von Patienten gemäß § 64 StGB beziehen sich primär im Sinne querschnittlicher Forschungsdesigns auf die Legalbewährung von Patienten unter Berücksichtigung von BZR-Einträgen – in einigen Fällen unter Einbezug klinischer und anamnestischer Informationen. Dabei konnten sowohl Unterschiede in der Legalbewährung der Patienten in Abhängigkeit von der Entlassart aus der Maßregel ermittelt werden, als auch Unterschiede zwischen ehemaligen Maßregelvollzugspatienten und Haftentlassenen. Es geht hervor, dass das Rückfallrisiko von Patienten mit Bewährungsentlassung signifikant unter dem von Patienten mit einer Erledigung wegen Aussichtslosigkeit liegt bzw. Maßregelvollzugspatienten nach Entlassung besser abschneiden als Häftlinge.
Unklar bleibt jedoch die Entwicklung der Gefährlichkeit – damit gemeint ist das prognostizierte Rückfallrisiko – von gemäß § 64 StGB untergebrachten Patienten im Zuge der Maßregelvollzugsbehandlung. Fraglich bleibt auch, ob es Zusammenhänge zwischen der Gefährlichkeitsentwicklung, anamnestischen Daten einerseits sowie der späteren Entlassart und der Legalbewährung der Patienten andererseits gibt. Ziel des skizzierten Forschungsprojekts ist die Untersuchung der Gefährlichkeitsentwicklung von Patienten gemäß § 64 StGB durch ein prospektives, längsschnittliches Studiendesign von Eintritt in den Maßregelvollzug bis zur Entlassung. Diese soll mittels risikoprognostischer Instrumente in verschiedenen Entziehungsmaßregeleinrichtungen in Nordrhein-Westfalen erfasst werden. Der Artikel stellt Hintergründe, Fragestellungen und Methodik des Forschungsprojekts vor. Da es sich um ein laufendes Projekt handelt, werden noch keine Ergebnisse berichtet. 151 Patienten wurden in der ersten Hälfte der Rekrutierungsphase in die Studie eingeschlossen.
Schlüsselwörter: Maßregelvollzug, Risikoprognostik, Entziehungsanstalt, Forensische Psychiatrie, Abhängigkeitserkrankungen
The evolution of re-offending risk among substance-addicted patients acc. to sec. 64 of the German Criminal Code (StGB) – presentation of a multi-center research project
Abstract
Existing studies on the re-offending risk of patients treated according to sec. 64 of the German Criminal Code (StGB) have primarily been designed as cross-sectional studies focusing on Federal Criminal Register data as outcome criteria – sometimes taking into account anamnestic and clinical information as potential predictors. Thereby differential risk profiles could be identified depending on the type of discharge. The risk to re-offend is much higher if addiction treatment was not terminated successfully and former forensic addiction patients in general exhibit a lower risk compared to individuals released from prison.
However, it remains unclear how the individual risk profile evolves during the course of forensic addiction treatment and if this evolution on the one hand depends on anamnestic or context factors – and if it impacts on catamnestic re-offending patterns on the other hand. The present research project aims at analyzing the evolution of re-offending risk among substance-addicted patients acc. to sec. 64 of the German Criminal Code (StGB) by using a prospective longitudinal design. In several forensic hospitals of the German federal state North Rhine Westphalia, patients are assessed by risk assessment tools on various occasions from admission until discharge. The present article outlines background, research questions and methodology. As the study keeps running, results are not yet reported. 151 patients could be included during the first half of the recruitment period.
Keywords: Addiction treatment order, forensic psychiatry, risk assessment, substance abuse, therapy outcome
Jan Querengässer
Maßregelvollzugsklinik Herne
Wilhelmstraße 120
44649 Herne
jan.querengaesser@lwl.org
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie
27. Jahrgang · 2020 · Heft 1
Pabst, 2020
ISSN 0945-2540
Preis: 15,- €