Inhaltsverzeichnis
Dirk Hesse & Klaus Hoffmann
Editorial
Sharon Schumann & Marie Bergmann
Frauen als Therapierende und in Führungspositionen – Besonderheiten in der forensischen Einrichtung
Sabine Hüdepohl
Abschied von einem Mythos – Gedanken zu weiblicher Mittäterschaft am sexuellen Kindesmissbrauch
Vivienne de Vogel, Marije Keulen-de Vos, Julia Leong & Ester Robbe
Arbeit mit Frauen in der forensisch-psychiatrischen Versorgung: Leitlinien für geschlechterspezifische Beurteilung und Behandlung
Vivienne de Vogel
Risikoeinschätzung bei Frauen
Vivienne de Vogel, Jeantine Stam, Yvonne H.-A. Bouman, Paul Ter Horst, Marike Lancel
Frauen unter dem Einfluss psychotroper Substanzen: Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen forensischen Patienten im Substanzgebrauch
Abstracts der 39. Münchner Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Forensischen Psychiatrie (AGFP)
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:255-256
DOI: doi.org/10.2440/009-0023
Editorial
Dirk Hesse & Klaus Hoffmann
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:257-263
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0024
Frauen als Therapierende und in Führungspositionen – Besonderheiten in der forensischen Einrichtung
Sharon Schumann & Marie Bergmann
Zusammenfassung
In der wissenschaftlichen Forschung und klinischen Patientenversorgung wird zunehmend das Augenmerk auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Diagnostik und Therapie psychischer Störungen gerichtet. Während diese Unterschiede in der Epidemiologie und Symptomausprägung psychiatrischer Diagnosen bekannt sind, wurden geschlechtsspezifische Faktoren in der therapeutischen Beziehung, einem zentralen Wirkfaktor psychotherapeutischer Behandlungen, bisher wenig erforscht. Insbesondere wurden mögliche Unterschiede in der forensischen Psychiatrie und Psychotherapie, die überwiegend männliche Patienten umfassen, kaum betrachtet. Auch die Rolle von Frauen in Führungspositionen in diesem Kontext wurde bisher wenig beachtet. In der Praxis forensischer Therapie zeigen sich spezifische Herausforderungen in der Beziehungsgestaltung und der Bearbeitung geschlechtsstereotypischer Annahmen. Die Begleitung der Mitarbeitenden stellt dabei eine besondere Aufgabe dar.
Schlüsselwörter: Frauen in Führungspositionen, therapeutische Beziehung, Geschlechtsspezifika.
Women as Therapists and in Leadership Positions – Special Considerations in Forensic Settings
Abstract
In science and clinical patient care, attention is increasingly focused on gender-specific differences in the diagnosis and treatment of mental disorders. While these differences are well-known in the epidemiology and symptomatology of psychiatric diagnoses, gender-specific factors in the therapeutic relationship, a key therapeutic factor, have been relatively understudied. Particularly, potential differences in forensic psychiatry and psychotherapy, which predominantly involve male patients, have received little attention. Similarly, the role of women in leadership positions in this context has been largely overlooked. In forensic therapeutic practice, specific challenges arise in relationship building and addressing gender-stereotypical assumptions. Supporting staff presents a particular challenge.
Keywords: Women in leadership, therapeutic alliance, gender specifics.
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:264-287
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0025
Abschied von einem Mythos – Gedanken zu weiblicher Mittäterschaft am sexuellen Kindesmissbrauch
Sabine Hüdepohl
Zusammenfassung
Gemäß den gesetzlichen Vorschriften und im Rahmen einer Verwaltungsvereinbarung zwischen den Bundesländern Berlin und Brandenburg werden in die Sozialtherapeutische Abteilung der JVA für Frauen Berlin (fast) alle Frauen aufgenommen, die in Berlin oder in Brandenburg wegen eines Sexualdelikts nach StGB oder JGG zu einer Freiheits- bzw. Jugendstrafe verurteilt wurden.
Dieser Beitrag widmet sich der Analyse der Motivation von Frauen, sich an dem sexuellen Missbrauch und der Vergewaltigung eigener Kinder durch einen männlichen Mittäter, der in den meisten Fällen nicht der leibliche Vater der Kinder ist, zu beteiligen.
An dem Beispiel einer Klientin wird die Vorgehensweise bei der Aufklärung der Ursachen und der Bedeutung deliktischer Handlungen vor dem Hintergrund unserer tiefenpsychologischen Konzeption dargestellt.
Schlüsselwörter: Sexueller Missbrauch, Mütter als Mittäterinnen, Sozialtherapeutische Abteilung, Motivation
End of a Myth – Reflections about Women as Accomplices in the Sexual Abuse of Their Children
Abstract
In accordance with legal regulations and within the framework of an administrative agreement between the federal states of Berlin and Brandenburg, the Social Therapeutic Department of the prison for Women in Berlin admits (almost) all women convicted of a sexual offense under the German Criminal Code (StGB) or the Youth Court Act (JGG) in Berlin or Brandenburg to serve a sentence of imprisonment or youth detention.
This article focuses on analyzing the motivation of women to participate in the sexual abuse and rape of their own children by a male accomplice, who is often not the biological father of the children.
Using the example of a client, the approach to elucidating the causes and meaning of criminal acts is presented against the background of our psychological conception.
Keywords: Sexual abuse, mother as sexual offender, social therapeutic department, motivation
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:288-316
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0026
Arbeit mit Frauen in der forensisch-psychiatrischen Versorgung: Leitlinien für geschlechterspezifische Beurteilung und Behandlung
Vivienne de Vogel, Marije Keulen-de Vos, Julia Leong & Ester Robbe
Zusammenfassung
Es wurden Unterschiede festgestellt zwischen weiblichen und männlichen forensischen Psychiatriepatienten in Bezug auf Trauma-Anamnese, straffälliges Verhalten und psychische Bedürfnisse. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede werden bei den meisten (Risiko-) Beurteilungs- und Behandlungsverfahren in der forensischen Praxis nicht ausreichend berücksichtigt. In diesem Projekt wurden Leitlinien für geschlechtergerechtes Arbeiten in der niederländischen forensischen Psychiatrie entwickelt. Mittels einer Online-Umfrage (N = 295) und Interviews mit 22 Fachleuten, acht weiblichen und drei männlichen Patienten wurden die Erfahrungen sowohl von Fachleuten als auch von forensischen Psychiatriepatienten gesammelt und ausgewertet. Die Themen, die für die Behandlung weiblicher Patienten als am relevantesten genannt wurden, waren 1) geschlechtssensible (Risiko-)Beurteilung; 2) traumainformierte Pflege;
3) Unterstützung bei Kontakt mit Kindern. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurden praktische Leitlinien erstellt, die anschließend in Expertensitzungen mit forensischen Patientinnen und Praktikern vorgestellt und als Folge der entsprechenden Kommentare weiter verfeinert wurden. Die Anwendung dieser Leitlinien kann zu einer verbesserten Behandlung von Patientinnen in der forensischen Psychiatrie beitragen und so Rückfälle verhindern sowie hoffentlich eine bessere Zukunft für diese Frauen und ihr Umfeld, insbesondere ihre Kinder, ermöglichen.
Schlüsselwörter: geschlechtsspezifische Vorurteile, geschlechtsspezifisches Verhalten, psychische Gesundheitsbedürfnisse, Forensik, Leitlinien
Working with women in forensic mental health care: Guidelines for gender-responsive assessment and treatment
Abstract
Differences have been found between female and male forensic psychiatric patients, relating to trauma history, offending behavior and mental health needs. These gender differences are not sufficiently taken into account in most (risk) assessment and treatment procedures in forensic practice. In this project, guidelines were developed for gender-responsive working in Dutch forensic mental health care. The experiences of both practitioners and forensic psychiatric patients were collected and analyzed by means of an online survey (N = 295) and interviews with 22 professionals, eight female patients and three male patients. The topics mentioned as most relevant for the treatment of female patients were 1) gender-sensitive (risk) assessment; 2) trauma-informed care; 3) support with contact with children. Practical guidelines were written based on these results and subsequently presented in expert meetings with forensic patients and with practitioners, and further refined based on their comments. Applying these guidelines may contribute to improved treatment for female forensic psychiatric patients thereby preventing relapse and hopefully a better future for these women and their surroundings, especially their children.
Keywords: gender bias, gender-responsive, mental health needs, forensic, guidelines
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:317-329
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0027
Risikoeinschätzung bei Frauen
Vivienne de Vogel
Zusammenfassung
In Haftanstalten und Maßregelvollzugskliniken sind Frauen in der Minderheit. Daher überrascht es nicht, dass die meisten Instrumente zur Einschätzung von Rückfallrisiken für Männer entwickelt und an ihnen erprobt wurden. Erst seit einigen Jahren hat man den Eigenschaften und Risikofaktoren straffälliger Frauen mehr Beachtung gezollt und untersucht, was für ihre Behandlung erforderlich ist. Untersuchungen zeigten, dass die standardmäßig angewandten Prognoseinstrumente zur Vorhersage gewalttätigen Handelns bei Frauen weniger brauchbare Ergebnisse lieferten als bei Männern. Um Risiken bei Frauen zu prognostizieren und entsprechende Interventionen zur Rückfallprävention zu entwickeln, bedarf es weiterer Forschung. Das ist nicht nur für die Frauen selbst und für die Gesellschaft entscheidend, sondern auch für den sozialen Kontext der Frauen, insbesondere für deren Kinder.
Schlüsselwörter: Risikoprognose, genderspezifisch, Genderbias
Risk assessment for women
Abstract
In prisons and forensic psychiatric clinics, females are a minority. It is, therefore, no surprise that most prognostic tools were developed for men and checked with male samples. Since a couple of years more attention is paid to explore specific traits, risk factors and needs for the treatment of delinquent females. Surveys have shown that the usually applied prognostic instruments for the prediction of violent crimes were less effective when applied for females. More research is needed to predict relapse risks for women and to develop adequate treatments for them to prevent relapse. This is not only essential for the women and for society, but also for the direct life context of the women and their children.
Keywords: risk-assessment, gender sensitivity, gender bias
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:330-344
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0028
Frauen unter dem Einfluss psychotroper Substanzen: Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen forensischen Patienten im Substanzgebrauch
Vivienne de Vogel, Jeantine Stam, Yvonne H.-A. Bouman, Paul Ter Horst, Marike Lancel
Zusammenfassung
Hintergrund: Problematischer Gebrauch psychotroper Substanzen ist ein beachtlicher Risikofaktor für strafbares Handeln und Gewaltanwendung. Untersucht ist das vor allem im Hinblick auf Männer. Was Frauen betrifft, sollte noch weiter geforscht werden.
Ziel der Untersuchung: Herausgearbeitet werden soll, inwiefern sich bei forensisch psychiatrischen Patienten Unterschiede zwischen Frauen und Männern finden, was erstens den Konsum psychotroper Substanzen betrifft und zweitens, wie sich dieser auf ihre Straffälligkeit auswirkt.
Stichprobe und Methode: Die Akten von 275 Frauen und 275 Männern, die zwischen 1984 und 2014 in einer von vier forensisch-psychiatrischen Einrichtungen untergebracht sind bzw. waren, wurden anonymisiert und untersucht, wie häufig die Patient*innen während der Behandlung gewalttätig und, nach ihrer Entlassung (78 Frauen), wieder rückfällig geworden sind.
Ergebnisse: Obwohl die Prävalenz problematischen Konsums psychotroper Substanzen bei Frauen recht hoch war (57%), fand sich bei Männern eine signifikant höhere Prävalenz (68%). Bei Männern war die DSM-IV-Diagnose Substanzabhängigkeit häufiger gestellt worden und sie hatten auch ihr Indexdelikt häufiger begangen, während sie unter dem Einfluss von Substanzen gestanden hatten. Anhand dieses Missbrauchs konnte bei ihnen das Risiko neuer Gewalttaten während der Behandlung besser vorhergesagt werden. Sowohl Frauen als auch Männer mit problematischem Substanzkonsum hatten bedeutend mehr historische Risikofaktoren als solche ohne eine entsprechende Vorgeschichte. Bei den Frauen war eine Vorgeschichte mit problematischem Substanzgebrauch kein signifikanter Marker für einen Rückfall nach der Entlassung.
Schlussfolgerung: Zwischen den Geschlechtern gibt es Unterschiede, was problematischen Substanzkonsum betrifft, wobei bei den Männern der Zusammenhang mit Straffälligkeit enger ist. Diese Unterschiede sollten bei der Behandlung von Suchtmittelabhängigkeit in forensischen Einrichtungen berücksichtigt werden.
Schlüsselwörter: Sucht, Geschlecht, forensisch-psychiatrische Behandlung, Risikofaktoren
Women under the influence of psychotropic substances: How do female and male patients in forensic psychiatry differ in their use of psychotropic substances and their effects?
Abstract
Background: Substance abuse is an important risk factor for (violent) offending, but is mostly studied in male populations. More knowledge about women is needed.
Objective: The aim of this multicentre study is to gain insight into possible gender differences in substance abuse and offending in forensic psychiatric patients.
Method: Files were analysed of 275 women and 275 men who have been admitted between 1984 and 2014 to one of four Dutch forensic psychiatric facilities and related to incidents of violence during treatment or recidivism after discharge (for 78 women).
Results: Although substance abuse was common in women (57%), it was significantly more prevalent in men (68%). Men were more often diagnosed with substance dependency and more often committed the indexoffense whilst intoxicated. Predictive accuracy for violent incidents during treatment was better for men. Both women and men with substances abuse had significantly more historical risk factors compared to those without substance abuse. A history of substance abuse was not a significant predictor for recidivism after discharge in women.
Conclusion: There are gender differences in substances abuse and the relationship with offending was stronger for men. These differences should be taken into account in the treatment of substance use in forensic mental health services.
Keywords: substance abuse, gender, forensic psychiatric treatment, risk factors
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:345-364
Abstracts der 39. Münchner Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Forensischen Psychiatrie (AGFP)
10.10.2024 – 11.10.2024
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie
32. Jahrgang · 2024 · Heft 3
Pabst, 2024
ISSN 0945-2540