Inhaltsverzeichnis
Uta Kröger
Editorial
Abstract
Vivienne de Vogel
Über die Unterbringung und Arbeit in der forensischen Psychiatrie: Haben die eine Schraube locker?
Abstract
Vivienne de Vogel, Marije Keulen-de Vos, Stefan Bogaerts, Erik Bulten, Monique Delforterie, Erwin Schuringa & Paul Ter Horst
Wirkt die forensische Behandlung? Eine Zusammenstellung von Forschungsergebnissen über die Wirksamkeit der Behandlung in der stationären forensischen Psychiatrie in den Niederlanden
Abstract
Vivienne de Vogel & Nienke Verstegen
Selbstverletzendes Verhalten von Patienten in der forensischen Psychiatrie
Abstract
Nienke Verstegen, Nienke Peters-Scheffer, Robert Didden & Vivienne de Vogel
Erfahrungen von Patienten mit Viktimisierung während einer psychiatrischen Zwangsbehandlung: Eine qualitative Studie
Abstract
Ingo Ilja Michels & Heino Stöver
Maßregelvollzug, § 64 StGB, zwangsweise Behandlung, Medikamentengestützte Behandlung einer Opioidabhängigkeit
Abstract
Gernot Hahn & Martina Pistor
Cannabis-Rezeptierung bei Patient:innen in der forensischen Nachsorge in Bayern
Abstract
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:147-148
DOI: doi.org/10.2440/009-0016
Editorial
Uta Kröger
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:149-162
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0017
Über die Unterbringung und Arbeit in der forensischen Psychiatrie: Haben die eine Schraube locker?
Vivienne de Vogel
Zusammenfassung
Patienten in der forensischen Psychiatrie haben eine schwere Straftat begangen, für die sie aufgrund ihrer psychiatrischen Probleme nicht oder nur teilweise strafrechtlich verantwortlich sind. Bei ihnen ist also nachweislich sozusagen „eine Schraube locker“. Auch die Menschen, die dort arbeiten, haben nach der öffentlichen Meinung einen Makel: „Man muss verrückt sein, um dort arbeiten zu wollen“. Das Bild ist in der Regel nicht positiv, vor allem, wenn Vorfälle in den Medien auftauchen, bei denen das behandelnde Personal oft als inkompetent abgetan wird. Oder gibt es vor allem Mängel in den Abläufen und der Organisation der forensischen Versorgung? „Das System steht still“, titelte die niederländische Rundfunkanstalt NOS im Dezember 2023 eine ihrer Nachrichtensendungen. Es besteht Personalknappheit, eine hohe Arbeitsbelastung und lange Wartelisten. Außerdem ist es schwierig, die Weiterversorgung so zu organisieren, dass die Kontinuität der Betreuung gewährleistet ist. Wie groß sind diese Probleme wirklich, und sind sie reparabel? Bei der näheren Betrachtung aus drei Perspektiven – Patienten, Fachkräfte und Prozesse – kommt die Autorin zu dem Schluss, dass sich parallele Themen erkennen lassen und eine integrierte Perspektive erforderlich ist, um die Qualität der forensischen Versorgung weiter zu verbessern.
Schlüsselwörter: Forensische Psychiatrie, Forensische Psychiatriepatienten, forensische Fachleute, Organisation forensischer Einrichtungen, traumainformierte forensische Versorgung
About being admitted and working in forensic care. Have a screw loose?
Abstract
Forensic psychiatric patients have committed a serious crime for which they are not or only partially responsible due to their psychiatric problems. They have therefore demonstrably “a screw loose”. The people who work there also have a stigma in public opinion: “You have to be crazy to want to work there”. The image is generally not positive, especially when incidents appear in the media in which the treating staff are often dismissed as incompetent. Or are there mainly shortcomings in the processes and organization of forensic care? “The system is at a standstill” was the headline of one of the Dutch broadcaster NOS’s news programs in December 2023. There are staff shortages, high workloads, long waiting lists, and it is complicated to organize further care well and ensure continuity of care. How big are these problems really, and can they be fixed? Looking at them more closely from three perspectives – patients, professionals and processes – the author concludes that parallel themes can be identified, and that an integrated perspective is required to further improve the quality of forensic care.
Keywords: Forensic psychiatry, forensic psychiatric patients, forensic professionals, organization of forensic institutions, trauma-informed forensic care
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Vivienne de Vogel, Universität Maastricht und Utrecht, Fachhochschule Utrecht, Forschungsabteilung De Forensische Zorgspecialisten, Postbus 174, 3500 AD Utrecht. E-Mail: vdevogel@dfzs.nl
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:163-186
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0018
Wirkt die forensische Behandlung?
Eine Zusammenstellung von Forschungsergebnissen über die Wirksamkeit der Behandlung in der stationären forensischen Psychiatrie in den Niederlanden
Vivienne de Vogel, Marije Keulen-de Vos, Stefan Bogaerts, Erik Bulten, Monique Delforterie, Erwin Schuringa & Paul Ter Horst
Zusammenfassung
Die Wirksamkeit der stationären forensisch-psychiatrischen Behandlung ist nicht schlüssig erwiesen. Dies wird jedoch von der Gesellschaft gefordert, und es wird manchmal mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass wir noch nicht genug darüber wissen. Es ist jedoch kompliziert, die Wirksamkeit von Behandlungen angemessen zu untersuchen. Drei neuere internationale Meta-Analysen kamen zu dem vorläufigen Schluss, dass die Behandlung in der forensischen Psychiatrie zu positiven Ergebnissen führt, insbesondere wenn es sich um eine multimodale Behandlung handelt. Die meisten Studien wiesen jedoch erhebliche Einschränkungen auf, und es sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um endgültige Aussagen über die Wirksamkeit der Behandlung zu treffen. Im Rahmen des Projekts „Learning Practice“ des niederländischen Expertisecentrum Forensische Psychiatrie (EFP) [Kompetenzzentrum Forensische Psychiatrie] haben wir untersucht, was die Forschung zur Behandlungseffektivität in der niederländischen stationären forensischen Psychiatrie in den letzten Jahren ergeben hat. Ziel dieser Zusammenstellung ist es, einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu geben und daraus zu lernen, was sich als wirksam erwiesen hat und was für die künftige Forschung erforderlich ist, sowohl was den Inhalt als auch was die Art der Forschung betrifft. Alle forensischen Kliniken wurden gebeten, Effektivitätsstudien zur Verfügung zu stellen, die ab 2005 veröffentlicht wurden. Insgesamt lagen uns 70 Arbeiten vor, darunter 55 Studien, aus denen wir dann anhand einer Reihe von Merkmalen, wie Ziel und Population, eine Auswahl trafen. Es gab insgesamt sechs veröffentlichte randomisierte kontrollierte Studien (RCTs), die die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode im Vergleich zu einer Kontrollgruppe untersuchten. Die methodische Qualität dieser sechs RCTs wurde mit dem Mixed Method Appraisal Tool Version 2018 (MMAT) bewertet, die im Allgemeinen angemessen war. Darüber hinaus gab es mehrere Studien, die zwar nicht das ausdrückliche Ziel hatten, die Wirksamkeit der Behandlung zu messen, aber dennoch interessant waren, um darüber zu diskutieren. Dieser Artikel fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gibt Empfehlungen für die künftige Forschung.
Schlüsselwörter: Behandlungseffektivität, Maßregelvollzug, stationäre forensische Psychiatrie, randomisierte kontrollierte Studie, lernende Praxis
Does forensic treatment work? A compilation of research findings on the effectiveness of treatment in inpatient forensic psychiatry in the Netherlands
Abstract
The effectiveness of treatment in forensic clinical care has not been convincingly demonstrated, although society demands and expects it. They are often surprised that we cannot state definitively if forensic care is effective. However, it is complicated to properly study treatment effectiveness. Three recent international meta-analyses1tentatively concluded that treatment in forensic care leads to positive outcomes, especially when multimodal treatment is offered. Most studies that were included in these meta-analyses, however, had serious methodological limitations and more research is needed to make definitive statements about treatment effectiveness. As part of the “Learning project” (In Dutch: “de Lerende Praktijk”) of the Expertise center for Forensic Psychiatry, we have examined what research on effectiveness in Dutch forensic clinical care has been conducted in recent years. The aim of this compilation is to provide an overview of the results and to learn from them for future research, both in terms of content and type of research. All forensic care facilities that provide clinical care were approached to provide published effectiveness studies since 2005. In total, we had 70 documents, including 55 studies from which we subsequently selected studies based on a number of characteristics, such as purpose and study population. In total, six randomized clinical trials (RCTs) examined the effectiveness of treatment in comparison to a control group. Of these six RCTs, methodological quality was assessed using the Mixed Method Appraisal Tool, version 2018. The quality was generally judged to be adequate. In addition, there were several studies that, despite not having the explicit goal of measuring treatment effectiveness, are interesting to discuss. This article summarizes the main findings and provides recommendations for future research.
Keywords: treatment effectiveness, forensic mental health care, Randomized Controlled Trial, learning practice.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Vivienne de Vogel, Universität Maastricht und Utrecht, Fachhochschule Utrecht, Forschungsabteilung De Forensische Zorgspecialisten, Postbus 174, 3500 AD Utrecht. E-Mail: vdevogel@dfzs.nl
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:187-198
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0019
Selbstverletzendes Verhalten von Patienten in der forensischen Psychiatrie
Vivienne de Vogel & Nienke Verstegen
Zusammenfassung
Selbstverletzendes Verhalten von Patienten der forensischen Psychiatrie hinterlässt bei allen Beteiligten oft einen starken Eindruck und ist ein wichtiger Prädiktor für Gewalt gegen andere während der Behandlung. Ziel dieser Studie ist es, Selbstverletzungen von Patienten zu beschreiben, die in die forensische Psychiatrie eingewiesen wurden. Im Zeitraum von 2008 bis 2019 wurden insgesamt 299 Selbstverletzungen registriert, die von 106 Patienten während der Behandlung in einem Zentrum für forensische Psychiatrie begangen wurden. Alle aufgezeichneten Vorfälle von Selbstverletzung wurden analysiert und nach Schweregrad kodiert mit Hilfe der MOAS+. Bei der Mehrheit der Vorfälle (87,6 %) handelte es sich um selbstverletzendes Verhalten ohne Suizidabsicht. Die häufigsten Methoden waren das Schneiden mit Glas, zerbrochenem Geschirr oder einem (Rasier-)Messer und das Verschlucken gefährlicher Flüssigkeiten oder Gegenstände. Es gab 10 Selbsttötungen, die fast alle durch Erhängen mit einem Seil oder Gürtel erfolgten. Die Mehrzahl der Vorfälle wurde auf der MOAS+ als schwer oder äußerst schwer eingestuft. Weibliche Patienten verursachten im Durchschnitt dreimal so viele Vorfälle wie männliche Patienten. Die Studie zeigt, dass selbstverletzendes Verhalten in der forensischen Psychiatrie regelmäßig vorkommt und in der Regel schwerwiegend ist. Die Auswirkungen auf die Betroffenen und Zeugen der Vorfälle, die Motive und Auslöser für das selbstverletzende Verhalten und eine wirksame Behandlung sind noch zu erforschen.
Schlüsselwörter: Selbstverletzungen, forensische Psychiatrie, Aggression, Suizid
Self-injurious behavior of patients in forensic psychiatry
Abstract
Self-injurious behavior of forensic psychiatric patients often leaves a strong impression on all involved and is an important predictor of violence against others during treatment. The aim of this study is to describe self-injury in patients admitted to forensic psychiatry. In the period from 2008 to 2019, a total of 299 self-harm incidents were recorded, committed by 106 patients during treatment in a forensic psychiatry center. All recorded incidents of self-harm were analyzed and coded by severity using the MOAS+. The majority of incidents (87.6%) involved self-injurious behavior without suicidal intent. The most common methods were cutting with glass, broken crockery or a (razor) knife and swallowing dangerous liquids or objects. There were 10 suicides, almost all of which were by hanging with a rope or belt. The majority of incidents were classified as severe or extremely severe on the MOAS+. Female patients caused on average three times as many incidents as male patients. The study shows that self-injurious behavior occurs regularly in forensic psychiatry and is usually severe. The effects on those affected and witnesses of the incidents, the motives and triggers for the self-harming behavior and effective treatment still need to be researched.
Keywords: Incidents of self-harm, forensic psychiatry, aggression, suicide
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Vivienne de Vogel, Universität Maastricht und Utrecht, Fachhochschule Utrecht, Forschungsabteilung De Forensische Zorgspecialisten, Postbus 174, 3500 AD Utrecht. E-Mail: vdevogel@dfzs.nl
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:199-223
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0020
Erfahrungen von Patienten mit Viktimisierung während einer psychiatrischen Zwangsbehandlung: Eine qualitative Studie
Nienke Verstegen, Nienke Peters-Scheffer, Robert Didden & Vivienne de Vogel
Zusammenfassung
Patienten in der forensischen Psychiatrie sind während ihrer Behandlung häufig Aggressionen von Mitpatienten ausgesetzt. Uns sind jedoch keine Untersuchungen darüber bekannt, wie sich dies auf das Wohlbefinden der Patienten und den Behandlungsverlauf auswirkt. In dieser Studie befragten wir neun Patienten zu ihren Erfahrungen mit Viktimisierung während der psychiatrischen Zwangsbehandlung. Die Interviews wurden analysiert mit Hilfe eines Grounded-Theory-Ansatzes in Kombination mit Elementen der konsensuellen qualitativen Forschung und der interpretativen phänomenologischen Analyse. Aus den Daten ergaben sich drei Hauptthemen, nämlich situative Beschreibungen sowie intra- und interpersonelle Konsequenzen. Die Patienten waren nicht nur körperlicher Gewalt und verbaler Aggression durch andere Patienten ausgesetzt, sondern auch einem allgegenwärtigen Strom von mikroaggressiven Kommentaren. Die Möglichkeiten, diesen Situationen zu entkommen, waren begrenzt. Dies bedeutet, dass die Viktimisierungsprozesse, die bei den meisten Patienten bereits in einem früheren Lebensabschnitt begonnen haben, während der forensisch-psychiatrischen Behandlung fortgesetzt werden. Zu den intrapersonellen Folgen gehören Angst, Hypervigilanz, reaktive Aggression, Flashbacks sowie Vermeidungs- und Rückzugsverhalten. Zu den zwischenmenschlichen Auswirkungen zählen verstärkte Machtunterschiede zwischen den Patienten und nachteilige Behandlungsergebnisse, wie z. B. Probleme mit dem Selbstwertgefühl. Viktimisierungsprozesse werden in einem Umfeld, das sich auf die Risiken und die Behandlung von kriminellem Verhalten konzentriert, nicht immer rechtzeitig bemerkt. Daher ist ein höheres Maß an Traumasensibilität in der forensisch-psychiatrischen Versorgung erforderlich. Es werden Empfehlungen für die Umsetzung einer traumainformierten Versorgung gegeben.
Schlüsselwörter: Viktimisierung, stationäre Aggression, forensische Psychiatrie, straffällig gewordene Personen, qualitative Studie
Patient Experiences of Victimization during Mandatory Psychiatric Treatment: A Qualitative Study
Abstract
Forensic psychiatric inpatients are frequently exposed to aggression from fellow patients during their treatment, but research on how this impacts patients’ well-being and treatment progress is lacking. In this study, we interviewed nine patients on their experiences of victimisation during mandatory psychiatric treatment. The interviews were analysed using a Grounded Theory approach combined with elements from Consensual Qualitative Research and Interpretative Phenomenological Analysis. Three main themes emerged from the data, namely situational descriptives, intrapersonal and interpersonal consequences. Patients were not only exposed to both physical violence and verbal aggression by other patients, but also to a more ubiquitous flow of micro-aggressive comments. Options to escape these situations were limited. This means that victimization processes, which for most patients started much earlier in life, continue during forensic psychiatric treatment. Intrapersonal consequences include fear, hypervigilance, reactive aggression, flashbacks and avoidance and withdrawal. Interpersonal consequences include increased power differences between patients and adverse treatment consequences, such as difficulties with self-esteem. Victimization processes are not always timely noticed in an environment that focuses on risks and treatment of delinquent behavior. A higher level of trauma sensitivity in forensic mental health care is thus required. Recommendations for the implementation of trauma informed care are provided.
Keywords: victimization, inpatient aggression, forensic psychiatry, justice-involved persons, qualitative study
Korrespondenzadresse: Dr. Nienke Verstegen, Forschungsabteilung De Forensische Zorgspecialisten, PO Box 174, 3500 AD Utrecht (NL). E-Mail: nverstegen@dfzs.nl
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:224-235
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0021
Maßregelvollzug, § 64 StGB, zwangsweise Behandlung, Medikamenten-gestützte Behandlung einer Opioidabhängigkeit
Ingo Ilja Michels & Heino Stöver
Zusammenfassung
Die Bund-Länder-AG zur Prüfung des Novellierungsbedarfs des Maßregelvollzugs hat in ihrem Bericht vom 20. November 2021 festgestellt, dass es einen kontinuierlichen Anstieg der nach § 64 StGB in der forensischen Psychiatrie untergebrachten Suchtkranken, hauptsächlich Opioidabhängigen, gibt. Die zwangsweisen Behandlungen in psychiatrischen Einrichtungen haben immer mehr zugenommen. Leider wird in dem Bericht nicht die Wirksamkeit der Therapie untersucht, sondern vorgeschlagen, die Maßregel auf die „tatsächlich behandlungsbedürften Personen zu konzentrieren“, um einem „Missbrauch“ der Maßregel zu begegnen. Warum in der Maßregel nach wie vor kaum eine medikamentengestützte Behandlung stattfindet, wird indes nicht thematisiert, obwohl gerade in psychiatrischen Kliniken die fachlichen Standards der Behandlung einer Opioidabhängigkeit gelten müssen und die Zuständigkeit für den Maßregelvollzug nicht bei den Justiz-, sondern bei den Gesundheits- und Sozialministerien liegt! Im Folgenden wird der fachwissenschaftliche Diskurs zum Maßregelvollzug der letzten Jahre vorgestellt. Am 22. Juni 2023 hat der Deutsche Bundestag eine entsprechende Gesetzesänderung dazu beschlossen, die aber nach Ansicht der Autoren nur dazu führen wird, dass noch mehr im Maßregelvollzug untergebrachte Menschen in den Strafvollzug überführt werden, ohne dass dort ihre Suchterkrankung angemessen behandelt wird.
Schlüsselwörter: Maßregelvollzug, § 64 StGB, zwangsweise Behandlung, Medikamenten-gestützte Behandlung einer Opioidabhängigkeit
Involuntary forensic treatment, § 64 of the Criminal Code, compulsory treatment, medication-assisted treatment of opioid addiction
Abstract
In its report dated November 20, 2021, the Federal-State Working Group for the Examination of the Need for Amendments to the Involuntary Forensic Treatment found that there is a continuous increase in the number of addicts, mainly opioid addicts, accommodated in forensic psychiatry in accordance with Section 64 of the German Criminal Code. Compulsory treatment in psychiatric facilities has continued to increase. Unfortunately, the report does not examine the effectiveness of treatment, but suggests that the measure should be “concentrated on those who actually need treatment” in order to prevent “abuse” of the measure. However, it is not discussed why there is still hardly any medication-assisted treatment in the forensic clinics, even though the professional standards for the treatment of opioid addiction must apply also in psychiatric clinics, and the responsibility for the implementation of the Medication Assisted Treatment lies not with the judiciary, but with the health and social ministries! The scientific discourse on the enforcement of Involuntary Forensic Treatment in recent years is presented below. On June 22, 2023, the German Bundestag passed a corresponding change in the law, which, however, will only lead to even more people in forensic clinics being transferred to prison without their addiction being adequately treated there.
Keywords: correctional mental health facility, compulsory treatment, medication-assisted treatment of opioid addiction
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Heino Stöver, Hochschullehrer an den Universitäten Bremen und Oldenburg, E-Mail: Heino.stoever@fb4.frau-uas.de
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, 2024.34:236-251
DOI: https://doi.org/10.2440/009-0022
Cannabis-Rezeptierung bei Patient:innen in der forensischen Nachsorge in Bayern
Gernot Hahn & Martina Pistor
Zusammenfassung
Mit Einführung der Verschreibungsfähigkeit von Cannabis zur medizinischen Behandlung im Jahr 2017 hat extern medizinisch verordnetes Cannabis auch Eingang in den Alltag der Forensischen Ambulanzen gefunden. Belastbare Daten zur Häufigkeit solcher Behandlungen, den Merkmalen der betroffenen Patienten und den Folgen für die forensische Nachsorge lagen bislang nicht vor. Im Rahmen einer Anfang 2022 durchgeführten Stichtagserhebung zur externen Rezeptierung medizinischen Cannabis bei Patienten Forensischer Ambulanzen in Bayern wurden erste Daten dazu erhoben, welche im vorliegenden Aufsatz dargestellt und diskutiert werden.
Schlüsselwörter: Cannabisbehandlung, Forensische Ambulanz, Lebensbewältigung, Maßregelvollzug, Medizinisches Cannabis
Cannabis prescription in forensic aftercare in Bavaria
Abstract
With the legalization of prescribing cannabis for medical treatment in 2017, externally prescribed cannabis has also found its way into the daily routine of forensic outpatient clinics. Reliable data on the frequency of such treatments, the characteristics of the patients involved, and the consequences for forensic aftercare have not been available until now. As part of a key date survey conducted at the beginning of 2022 on the prescription of medical cannabis among patients in forensic outpatient clinics in Bavaria, first data were collected, which are presented and discussed in this article.
Keywords: Cannabis treatment, forensic outpatient clinic, coping with life, forensic clinic, medical cannabis
Korrespondenzadresse: Dr. Gernot Hahn, Sozialtherapie – Praxis, Lehre, Forschung, info@gernot-hahn.de
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie
32. Jahrgang · 2024 · Heft 2
Pabst, 2024
ISSN 0945-2540