Seit dem Inkrafttreten der ISO EN DIN 10075 "Mental Workload" ist eine zunehmende Dynamik im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention in Unternehmen zu beobachten. Herausforderungen entstehen dabei in besonderem Maße durch die Flexibilisierung der Arbeitswelt. Ziel ist es, auch unter den neuen Bedingungen die Qualität des Arbeitslebens zu verbessern, indem Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden aller Beschäftigten geschützt und entwickelt werden. Das setzt die Entwicklung vielfältiger organisationaler, sozialer und personaler Ressourcen auch jenseits der klassischen Erwerbsarbeit voraus.
Die Anwendung von progressiven psychologischen Konzepten und Methoden ist dabei von besonderer Bedeutung. Diese werden von renommierten und jüngeren Autorinnen und Autoren in einem kompakten Überblick dargestellt.
Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
I. Grundsätzliche Fragen und Diskussionen
Ulf Lundberg
Health Implications of Work-Related Stress in Women and Men
Heinz Schüpbach
Arbeitstätigkeit und Arbeitshandeln in soziotechnischen Systemen - ein Beitrag zur Diskussion
Klaus Scheuch & Reingard Seibt
Arbeits- und persönlichkeitsbedingte Beziehungen zu Burnout - eine kritische Betrachtung
Renate Rau, Katja Hoffmann, Katja Morling & Ulrike Rösler
Ist der Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung und Depression ein Ergebnis beeinträchtigter Wahrnehmung?
II. Neue Methoden zur Analyse organisationaler und personaler Ressourcen
Gabriele Buruck, Uwe Debitz & Matthias Rudolf
Screening Gesundes Arbeiten (SGA) - Erste Ergebnisse der Pilotstudien
Franziska Faselt & Jürgen Hoyer
Formen des Optimismus und ihr Vorhersagewert für die Gesundheit
Anna N. Iwanowa
Formen der Arbeitszufriedenheit (FAZ) - Ergebnisse der Überprüfung von Gütekriterien des Kurzfragebogens
Wolfram Boucsein
Psychophysiologie im Flug - eine Fallstudie
III. Wirkung und Entwicklung organisationaler Bedingungen
Sandra Wolf & Claudia Nebel
PREVA-Analyse psychosozialer Ressourcen und Risiken in der Arbeit - ein Analysebeispiel an Gymnasiallehrern
Nicole Stab & Winfried Hacker
Gibt es unterschiedlich effiziente Organisationsformen in der stationären Krankenpflege?
Andreas Pohlandt & Ulrike Pietrzyk
Tätigkeiten in neuen Arbeits- und Organisationsformen psychologisch bewerten und gestalten
Bärbel Bergmann, Ulrike Pietrzyk & Falk Richter
Gesundheitsförderung und Lernförderung im Arbeitsprozess - zwei Seiten derselben Medaille
Sigrun Fritz & Jens Wiedemann
Entwicklung von Humanressourcen in der Papierindustrie - eine Evaluation mit harten und weichen Zielkriterien
IV. Wirkung und Entwicklung sozialer und personaler Bedingungen
Thomas Rigotti, Kathleen Otto & Gisela Mohr
Psychologische Verträge und ihr Zusammenhang mit psychosozialem Befinden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
Ulf Kieschke & Uwe Schaarschmidt
Stress und Gesundheitsmanagement bei Existenzgründern. Ein typendiagnostischer Forschungsansatz
Ivars Udris & Pascal Bartlomé
Gesundheitstypen und subjektive Arbeitssituation - Ein cluster- und diskriminanzanalytischer Zugang
V. Ökonomische Folgen und Ansätze im Gesundheitsmanagement
Klaus-Helmut Schmidt & Jürgen Wegge
Neue Entwicklungen in der Fehlzeitenforschung
Christian Korunka, Peter Hoonakker & Pascale Carayon
Job and Organizational Factors as Predictors of Quality of Working Life and Turnover Intention in IT Work Places
Philipp Weiherl, André Emmermacher & Petra Kemter
Gesundheitsmanagement, Präsentismus und Core Self-Evaluations
Stephan Mühlig & Jürgen Hoyer
Sekundäre Prävention psychischer Störungen am Arbeitsplatz:
Wie ist problematischem Alkohol- und Drogenkonsum entgegenzuwirken?
VI. Jenseits der Erwerbsarbeit: Gemeinnützige Arbeit und Erwerbslosigkeit
Christina Golüke, Stefan Güntert & Theo Wehner
Frei-gemeinnützige Tätigkeit als Ressource für psychosoziale Gesundheit - dargestellt an einer Studie im Hospizbereich
Katrin Rothländer
Soziale Unterstützung und organisationale Integration von Langzeitarbeitslosen in gemeinnützige Tätigkeiten
Marc Wülser, Simone Inversini & Eberhard Ulich
Lokale Schulbehörden in der Schweiz: ein Beispiel für gemeinnützige Arbeit
Sascha Göttling
Die Arbeit der "Arbeitslosen" - Tätigkeiten von Menschen mit geringem Einkommen in Ostdeutschland
Rezension zu diesem Buch
von Uwe Kleinbeck
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts bereits hat Kurt Lewin darauf hingewiesen, dass Arbeit für die Menschen zwei Gesichter hat: "Arbeit ist einmal Mühe, Last, Kraftaufwand
.Arbeit ist unentbehrliche Voraussetzung zum Leben, aber sie ist selbst noch nicht wirkliches Leben." Auf der anderen Seite spricht ihr Lewin die Fähigkeit zu, " dem individuellen Leben Sinn und Gewicht zu geben
. Darum will man die Arbeit reich und weit, vielgestaltig und nicht krüppelhaft beengt. Sie hemme die persönliche Entwicklungsmöglichkeit nicht, sondern bringe sie zur vollen Entfaltung" (Lewin, 1920). Aus dieser Aussage haben sich für die Arbeits- und Organisationspsychologie zwei Aufgabenbereiche ergeben, die bis heute relevant sind, nämlich einerseits die Gestaltung von Arbeitsaufgaben und Arbeitsorganisation und andererseits der Schutz der arbeitenden Menschen vor Fehlbeanspruchungen.
Das vorliegende Buch "Arbeit und Gesundheit" stellt in 24 Beiträgen von insgesamt 49 Autoren die neuesten Forschungsergebnisse aus diesen Aufgabenbereichen dar und gliedert sich in 6 Teile. Der erste Teil enthält vier Beiträge, in denen es um Grundsätzliche Fragen zur Mitarbeitergesundheit geht. Lundberg führt allgemein in die zentrale Frage nach den gesundheitlichen Konsequenzen von Belastungen und Beanspruchungen bei der Arbeit ein und äußert seine Sorge um die fehlende Balance zwischen Tätigkeit und Ruhezeit. Weitere Beiträge von Schüpbach, Scheuch & Seibt sowie Rau et al. konzentrieren sich auf die Betrachtung von Arbeitstätigkeiten und Arbeitshandeln in soziotechnischen Systemen und behandeln allgemeine Fragen zu den arbeits- und persönlichkeitsbezogenen Bedingungen des Burnout. Es hätte sich dabei als vorteilhaft erwiesen, die konzeptuelle Grundlegung aus Arbeitspsychologie und Arbeitswissenschaft verstärkt anzusprechen und auf diese Weise die zentrale Bedeutung von Theorien des Arbeitshandelns im Forschungskontext Arbeit und Gesundheit zu betonen.
Im zweiten Teil des Buchs stehen die Methoden des Forschungsfeldes im Vordergrund. In vier empirischen Studien werden zum einem großen Teil erste Ergebnisse zu Messverfahren wie Screening Gesundes Arbeiten (SGA) von Buruck, Debitz & Rudolf, Formen des Optimismus (Faselt & Hoyer), Formen der Arbeitszufriedenheit (Iwanowa) und Erfassung des psychophysiologischen Geschehens bei der Arbeit (Boucsein). Es wäre wünschenswert, dass weitere Ergebnisse die Gültigkeit und Zuverlässigkeit der vorgestellten Methoden belegen könnten.
Insgesamt 5 aktuelle empirische Studien bilden schwerpunkthaft den 3. Teil des Buchs, in dem es um die Wirkung und Entwicklung organisatorischer Bedingungen geht. Es werden Untersuchungen mit Gymnasiallehrern (Wolf & Nebel), von Mitarbeitern in der stationären Krankenpflege (Stab & Hacker), von Mitarbeitern in flexiblen Beschäftigungsformen, insbesondere bei Zeitarbeit (Pohland & Pietrzyk) sowie in Industrie und Dienstleistung (Bergmann, Pietrzyk & Richter) und in der Papierindustrie (Fritz & Wiedemann) vorgestellt.
Die Autoren im Teil 4 stellen die sozialen und personalen Bedingungen der Arbeit ins Zentrum ihrer Betrachtung. Rigotti, Otto & Mohr zeigen mit Hilfe einer meta-analytischen Aufbereitung von Daten, welche Bedeutung der "psychologische Vertrag" für die seelische Gesundheit von Mitarbeitern haben kann. 2 weitere Studien zum Stress- und Gesundheitsmanagement (Kieschke & Schaarschmidt) sowie zur Beziehung zwischen Gesundheitstypen und der subjektiv eingeschätzten Arbeitssituation (Udris & Bartlomé) runden diesen Teilbereich ab.
Der 5. Teil des Buchs enthält solche Beiträge, in denen die Ökonomischen Folgen eingeschränkter Gesundheit von Mitarbeitern thematisiert werden. Schmidt & Wegge berichten über eine empirische Studie zu unterschiedlichen Abwesenheitskulturen. Sie finden heraus, dass mit der Dauer der Zugehörigkeit zu einer Organisation die Anpassung ihres individuellen Abwesenheitsverhaltens an den sozialen Kontext zunimmt. Die Studie von Korunka, Hoonacker & Carayon schildert Bedingungen der Fluktuationsneigung, während die Beiträge von Weiherl, Emmermacher & Kemter sowie Mühlig & Hoyer sich Ansätzen zur Gesundheitsprävention widmen.
Auch jenseits der Erwerbsarbeit lassen sich die Konzepte der Arbeitspsychologie anwenden. Das zeigen die 4 Beiträge im 6. Teil dieses Buchs. Im Zusammenhang mit freiwilliger Hospizarbeit (Golüke, Güntert &Wehner) und bei Langzeitarbeitslosigkeit (Rothländer und Göttling) wurden sie überprüft. Wülser, Inversini & Ulich fanden heraus, dass "für produktive Tätigkeitsformen jenseits der Erwerbsarbeit offensichtlich die gleichen Bewertungskriterien gesundheits- und lernförderlicher Arbeitsgestaltung herangezogen werden können".
Obwohl man sich bei einigen der Beiträge weniger vorläufige Ergebnisse wünschen würde, zeigt diese Zusammenstellung von aktuellen Themen in einem gewichtigen anwendungsbezogenen Forschungsbereich der Psychologie, dass seit den frühen Erkenntnissen Lewins über die zwei Gesichter der Arbeit eine Menge an Wissen und daraus resultierenden Verfahren gewonnen werden konnte. Dieses Wissen trägt zu einem besseren Verständnis der Bedingungen bei, die für die Gesundheit von Menschen am Arbeitsplatz verantwortlich sind und hat zur Entwicklung einer Vielzahl nützlicher Techniken zur gesundheitsorientierten Arbeitsgestaltung beigetragen. Deshalb sei das Buch allen zur Lektüre empfohlen, die sich für die aktuellen Konzepte, Ergebnisse und Verfahren zum Thema Arbeit und Gesundheit interessieren und solche Bedingungen am Arbeitsplatz schaffen wollen, die die Gesundheit der Mitarbeiter nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern auch fördern.
Lewin, K. (1920). Die Sozialisierung der Taylor-Systems. Schriftenreihe praktischer Sozialismus, 4, 3-36.
Quelle: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie (2008) Nr. 4, S. 204-209
2007, 420 Seiten, ISBN 978-3-89967-397-5, Preis: 30,- Euro