Müssen nicht die fortdauernden Kontroversen über den Neuroreduktionismus und über das fragwürdige Ziel einer Einheitstheorie nach dem Vorbild der Physik letztlich zur systematischen Kategorienlehre zurückführen? Die Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Reduktionen verhandeln zu wollen, bedeutet vor allem, die adäquaten Kategorien für bestimmte Phänomenbereiche gemeinsam zu bestimmen.
Nach Gilbert Ryles oberflächlichem Versuch, Kategorienfehler nur in einem syntaktischen Rahmen, allein aus der Sprachlogik, diagnostizieren zu wollen, sind Hartmanns tiefergehende Kategorialanalysen mit der Forderung nach "Wahrung aller und jeder kategorialen Eigenart" in jedem Sondergebiet des Seienden lesenswert. Seine Warnungen vor den Fehlern der kategorialen Grenzüberschreitung sind aktuell geblieben, denn in verbreiteten Strömungen und Denkrichtungen bleiben solche Vorentscheidungen oft verborgen.
Die allgemeine Erörterung von theoretischer Reduktion und Reduktionismus kann sich von zwei Konzepten anregen lassen:
Niels Bohr prägte den Komplementaritätsbegriff, um die wechselseitige Ergänzung an sich paradoxer Beschreibungen zu einem phänomen-adäquaten Gesamtbild begreiflich zu machen. Psychologische Forschung hat dazu beigetragen, Perspektiven des Denkens und den Perspektiven-Wechsel in wissenschaftstheoretischer Hinsicht auszuarbeiten, um kategorial grundverschiedene Bezugssysteme zu kombinieren. Mit entsprechenden Forschungsstrategien könnten einseitig reduktionistische Programme überwunden und die Adäquatheitsbedingungen bestimmt werden, welche Kategorien für ein bestimmtes Phänomen (Untersuchungsthema), für eine bestimmte Fragestellung und für eine beabsichtigte Anwendung wichtig sind.
Zur Kategorienlehre der Psychologie. Komplementaritätsprinzip – Perspektiven und Perspektiven-Wechsel
Fahrenberg, Jochen