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Warum Schach-Profis gewinnen

Das Projekt "Ceege" erfasst mit speziellen Brillen, wohin Schachspieler blicken. Meist richten die Spieler ihre Aufmerksamkeit auf Schlüsselfiguren (Foto: CITEC/Universität Bielefeld)

Schach gilt als eines der ältesten und zugleich beliebtesten Gesellschaftsspiele. An Heiligabend dürfte der Spieleklassiker wieder hundertausendfach verschenkt werden - als Brettspiel, PC-Spiel oder als Schachcomputer. Doch was ist das Geheimnis erfolgreicher Schachspielerinnen und -spieler? Das untersuchen Kognitionswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des Exzellenzclusters Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld seit einem Jahr in dem Projekt "Ceege".

Für das Projekt erfassen die Forscher zum Beispiel Blickbewegungen und Gesichtsausdrücke. Jetzt berichten sie über erste Ergebnisse und erklären, warum der Norweger Magnus Carlsen in diesem Jahr erneut Schachweltmeister wurde.

"Es gibt zahlreiche Theorien dazu, wie das Gehirn die Aufmerksamkeit steuert und Probleme in Alltags- und Spielsituation löst", sagt Professor Dr. Thomas Schack. Der Sportwissenschaftler und Kognitionspsychologe leitet die CITEC-Forschungsgruppe "Neurokognition und Bewegung - Biomechanik" und das Schach-Forschungsprojekt. "Das Schachspiel ist ein ideales Untersuchungsfeld, um diese Theorien zu überprüfen. Denn Schachspieler müssen besonders aufmerksam sein und in rascher Folge entscheiden, wie sie vorgehen."

Für "Ceege" kooperiert Schacks Forschungsgruppe mit dem Forschungsinstitut Inria Grenoble Rhones-Alpes in Frankreich. Der Projektname steht für: Chess Expertise from Eye Gaze and Emotion (Schach-Expertise auf Grundlage von Augenbewegungen und Emotionen).
"Wir untersuchen individuelle Spieltaktiken, das Verhalten von Schachspielern untereinander und ihre Körpersprache", sagt Dr. Kai Essig, der am CITEC zusammen mit Thomas Küchelmann in dem Projekt forscht. "Mit den Erkenntnissen aus dem Projekt können wir künftig vorhersagen, wie stark einzelne Schachspieler sind und wie hoch die Chance ist, dass ein Spieler eine Partie gewinnt. Wir können voraussichtlich sogar eine Reihe von optimalen Spielzügen erkennen, die die Wahrscheinlichkeit zu siegen erhöhen."

Um Spieler und ihre Aktionen möglichst umfassend zu erfassen, arbeiten die Bielefelder Forscher mit unterschiedlichsten Techniken. Eyetracking-Brillen registrieren, wohin die Schachspieler ihren Blick richten. Videokameras nehmen die Gesichtsausdrücke und die Körpersprache auf. Professor Dr. James Crowley vom Inria-Institut und sein Team widem sich den Emotionen von Schachspielern. Sie erfassen dafür zum Beispiel Mikroexpressionen - Gesichtsausdrücke, die nur für einige Millisekunden erkennbar sind - sowie Gestik, Herzfrequenz, Atemfrequenz und Schweißbildung.

Mehr als 120 Versuchspersonen haben sich bislang für die Untersuchung und ihre Vorstudie beim Schachspiel beobachten lassen, davon ein Drittel Experten und Fortgeschrittene und zwei Drittel Anfänger. "Die laufende Untersuchung und die Vorstudien zeigen schon jetzt, dass Profis und Laien sich deutlich in ihren Blickbewegungen unterscheiden", sagt Kai Essig. "Schachexperten konzentrieren sich die meiste Zeit auf Schlüsselfiguren, die in jeweiligen Situation spielentscheidend sein können. Die Experten steuern ihre Aufmerksamkeit effizienter als Anfänger." Laien springen laut Essig mit ihrem Blick sehr oft von einer Figur zu nächsten und schauen sich so fast alle Figuren auf dem Brett an, unabhängig davon, ob sie in der jeweiligen Situation eine zentrale Rolle spielen.
Mit dem Wissen aus ihrem Projekt haben die Forscher die Schach-Weltmeisterschaft im November besonders verfolgt. "Schon früh im Turnier war zu erkennen, dass Magnus Carlsen gewinnt. Er hatte in den ersten sechs Partien mehr Initiative gezeigt. Seinem Gegner Sergej Karjakin ist es kaum gelungen, das Spiel zu dominieren" sagt Thomas Küchelmann. Aus der Ferne lassen sich laut dem Physiker nur begrenzt Schlüsse ziehen. "Um konkrete Vorhersagen machen zu können, müssten wir tatsächlich Carlsens und Karjakins Spiel mit unserer Technik messen", sagt Küchelmann. "Interessant wären dabei zum Beispiel Carlsens emotionale Reaktionen auf seine verpassten Siegzüge, sein Fehler in der verlorenen achten Partie und im Tie-Break Karjakins emotionale Reaktionen auf seine Zeitnot."

Mit ihren Erkenntnissen wollen die Forscher einen elektronischen Schachassistenten entwickeln. Er analysiert die Schwächen von Schachanfängern und -profis zum Beispiel über Blickerfassung und trainiert mit Hinweisen und Erklärungen. So empfiehlt er, welcher Zug in der jeweiligen Situation optimal ist. "Langfristig wäre es auch denkbar, dieses Assistenzsystem in Roboter einzubauen. Durch ihre räumliche Anwesenheit könnten Roboter die Spieler anders motivieren als ein Assistent, der zum Beispiel über ein Tablet nur sprachlich agiert", sagt Thomas Schack.

Das Forschungsprojekt "Ceege" läuft über drei Jahre bis Februar 2019. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der französische Forschungsförderer "Agence Nationale de la Recherche" (ANR) unterstützen des Projekt. Die Universität Bielefeld erhält 300.000 Euro für die Forschung.




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