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Moderne Lügendetektoren schauen ins Gehirn

Die neue Generation von Lügendetektoren misst direkt im Gehirn - dort, wo die Lüge entsteht. Zwar sind die Ergebnisse noch nicht über alle Zweifel erhaben, dennoch wird die Technik bereits angewendet. Dies löst viel Kritik in der Forschergemeinde aus.

Der Blick in die Gedankenwelt eines Täters wäre für Ermittler von grossem Wert. Phantasievolle Geister träumen sogar von Installationen an Flughäfen, die die Gedanken der Passagiere nach terroristischem Inhalt absuchen. Aus heutiger Sicht erscheint dies unmöglich. Doch liest man in wissenschaftlichen Publikationen immer häufiger, dass Gedanken mit neurowissenschaftlichen Methoden erkannt wurden. Im Jahr 2000 schrieben die Neurowissenschafterinnen Kathleen O'Craven und Nancy Kanwisher vollmundig: «Unsere Daten zeigen zum ersten Mal, dass der Inhalt eines einzelnen Gedankens allein durch seine Kernspin-Signatur erschlossen werden kann.» Allerdings konnten sie in ihrem Experiment mit dem bildgebenden Verfahren nur unterscheiden, ob eine Versuchsperson gerade an einen Ort oder an das Gesicht einer Person dachte. Um wen es sich handelte und was die Versuchsperson mit dem Menschen verband, blieb verborgen.

Der Stand des Gedankenlesens

In den folgenden Jahren erschienen immer mehr solcher Studien. Mittlerweile können Forscher sehr viele verschiedene Gehirnaktivitätsmuster unterscheiden und ermitteln, welches von mehreren Objekten eine Person gerade anschaut und also im Kopf hat. Aber auch komplexere mentale Vorgänge wie das Erkennen einer Absicht wurden bereits erfasst. John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience (BCCN) in Berlin zeigte etwa, dass er anhand der Aktivierungsmuster in einem bestimmten Hirnareal mit 70-prozentiger Trefferquote bestimmen konnte, ob eine Person vorhatte, mit zwei präsentierten Zahlen eine Subtraktion oder eine Addition durchzuführen. Und Thomas Baumgartner von der Universität Zürich zeigte kürzlich, dass ein bestimmtes Aktivierungsmuster verrät, ob Personen ein gegebenes Versprechen einhalten werden oder nicht.

Trotz diesen Erfolgen mit willigen Versuchspersonen unter streng kontrollierten Bedingungen im Labor ist man aber noch weit davon entfernt, den Inhalt eines einzelnen Gedankens im normalen Denkprozess zu erfassen. Etwas einfacher ist es zu bestimmen, ob eine Person die Wahrheit sagt. In den letzten Jahren lieferten eine Reihe von Arbeiten Hinweise, dass unterschiedliche Hirnaktivitäten entstehen, je nachdem, ob ein Proband bei einer Aufgabe ehrlich war oder nicht. Die Aktivitätsmuster wurden meist mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) gemessen. Dabei fielen besonders zwei Hirnregionen auf, die beim Lügen stärker aktiv waren: einige Areale im präfrontalen Kortex und Areale im vorderen Cingulum. Neuere Studien zeigen, dass beim Lügen auch das limbische System involviert ist, wo Emotionen verarbeitet werden.

Lügendetektoren in der Praxis

Allerdings analysierten die meisten Forscher in ihren Studien Daten von einer ganzen Gruppe von Versuchspersonen. Für die Anwendung bei einem Verhör brauchte man aber aussagekräftige Messungen von einer einzigen Person. Mittlerweile gibt es etwa fünf Studien, bei denen Messungen an einzelnen Personen gemacht wurden. Diese entstanden hauptsächlich im Umfeld zweier amerikanischer Firmen. Sie heissen No Lie MRI und Cephos und bieten fMRT-basierte Lügendetektor-Tests an.

Die Forscher Frank Kozel und Mark George, die wissenschaftliche Berater der Firma Cephos sind, publizierten letztes Jahr eine Arbeit, bei der 48 Teilnehmer mitmachten. Die Studie wurde von Cephos und dem amerikanischen Verteidigungsdepartement finanziert. Die Hälfte der Probanden beging ein Scheinverbrechen, das darin bestand, eine CD mit belastendem Beweismaterial zu stehlen und zu vernichten, die andere Hälfte tat dies nicht und sollte sich für die Tatzeit ein vorgegebenes Alibi merken. Zwei Tage danach wurden die Teilnehmer im fMRT-Gerät gemessen.

13 der 14 Personen der Verbrecher-Gruppe wurden korrekt als Verbrecher identifiziert. Aber es wurden auch 14 von 22 Personen aus der Nicht-Verbrecher-Gruppe fälschlicherweise für schuldig gehalten. Kozel sagt zwar, dass das Ergebnis mit einer angepassten Auswertung der Daten habe verbessert werden können, dies müsse aber noch bestätigt werden. Zudem konnten die Daten von 12 Personen nicht ausgewertet werden, da die Messungen ungenau oder fehlerhaft waren. Sogar mit kooperierenden Personen lieferte die Methode demnach in einem Viertel der Fälle unbrauchbare Ergebnisse.

Zwar wurden bei einfacherem Versuchsaufbau auch schon Spezifitäten von etwa 90 Prozent erzielt, doch wäre auch dies für eine bedenkenlose Anwendung noch zu wenig. Die mangelhafte Spezifität ist aber nur ein Grund, weshalb die meisten Wissenschafter eine Anwendung der Technik zur Lügendetektion für verfrüht halten. Der wichtigste Grund ist wohl, dass die Methode bis jetzt nur im Labor erprobt ist und die Probanden in den meisten Versuchen dazu aufgefordert wurden zu lügen. Dies ist mit einer richtigen Lüge kaum zu vergleichen. Auch hat eine Studie gezeigt, dass auswendig gelernte Lügen ein anderes Aktivierungsmuster erzeugen als spontane. Generell sei viel zu wenig darüber bekannt, wie sich die Hirnaktivität bei verschiedenen Arten von Lügen und in unterschiedlichen Personen verhalte, schreibt der Psychiater Joseph Simpson von der University of Southern California in einer Publikation.

Zudem ist unklar, wie sicher die Technik vor Manipulationen ist. Beim klassischen Lügendetektor-Test, der die physiologische Körperreaktion misst, können Personen das Ergebnis relativ gut manipulieren, indem sie bei irrelevanten Fragen an etwas Aufregendes denken. Dennoch bieten die Firmen No Lie MRI und Cephos ihre Dienste zur Lügendetektion in den USA bereits an. Wie viele Kunden sie bisher hatten, war nicht zu erfahren. Bei Cephos beträfen ein Drittel der Fälle private Angelegenheiten, ein Drittel Rechtsangelegenheiten und ein weiteres Drittel seien Personen, die damit zeigen wollten, dass sie zu Unrecht verurteilt worden seien, sagt der Geschäftsführer Steven Laken. Ob die Gerichte einen solchen Test als Beweismittel anerkennen würden, sei in den betreffenden Fällen noch offen.

Messung der Hirnströme

Die beiden Firmen sind aber nicht die einzigen, die neurowissenschaftliche Methoden in den Dienst der Justiz stellen. Länger bekannt und auch schon weiter entwickelt ist eine Technik, die auf der Elektroenzephalografie (EEG) beruht. Damit werden elektrische Spannungsschwankungen auf der Kopfhaut gemessen, die Rückschlüsse auf die Hirnaktivität erlauben. Vor mehr als 20 Jahren fanden Forscher heraus, dass Informationen, die einer Person bekannt und für sie relevant sind, in ihrem Gehirn ein messbares Signal auslösen, die sogenannte P300-Welle. Bereits Ende der 1980er Jahre kam der Forscher Lawrence Farwell auf die Idee, diese Erkenntnis in der Forensik zu nutzen. Nicht, weil dadurch ersichtlich wird, ob jemand lügt, sondern weil damit überprüft werden könnte, ob eine Person Tatwissen hat. Werden einem Mörder Wörter vorgelesen oder Objekte gezeigt, die eng mit der Tat verbunden und also für ihn relevant sind, sollte dies ein P300-Signal auslösen, bei einem Unschuldigen, der kein Tatwissen hat, sollte hingegen nichts geschehen. Farwell gründete bald darauf eine Firma und bietet seither den «Brain-Fingerprinting-Test» an. Die CIA und das FBI waren sehr interessiert an der Forschung und beteiligten sich finanziell, das FBI auch an einer Studie.

Anwendung ist verfrüht

Die Ergebnisse eines Brain-Fingerprinting-Tests wurden auch schon von Gerichten berücksichtigt, so etwa im Jahr 2000, als es darum ging, den Fall eines bereits verurteilten Mörders noch einmal aufzurollen. Die Richter befanden damals, dass der Test dem «Daubert-Standard» zur Beurteilung von wissenschaftlichen Techniken genüge. Dazu gehört, dass die Methode getestet und nach der Überprüfung durch Experten zur Publikation zugelassen wurde sowie von der wissenschaftlichen Gemeinde akzeptiert ist. Zudem muss die Fehlerrate bekannt sein.

Viele Forscher halten den Entscheid des Gerichts für einen Fehler, denn keiner der vier Punkte treffe zu. So schreibt Daniel Meegan von der University of Guelph in Kanada, dass der Richter den Unterschied zwischen dem P300-Effekt als solchem und der Verwendung des Signals zur Aufdeckung von Tatwissen nicht erkannte. Der P300-Effekt sei in der Psychophysiologie gut etabliert. Weder sei der Brain-Fingerprinting-Test aber unter realen Bedingungen getestet noch die Methode so publiziert worden, dass es den Anforderungen an seriöse Wissenschaft genüge. Zudem sei die Fehlerrate in einer realen Situation völlig unbekannt. Ähnlich steht es um eine EEG-basierte Methode, die in Indien verwendet wird (siehe Kasten).

Peter Rosenfeld von der Northwestern University in Chicago kritisiert ausserdem, dass die Methode von Farwell nicht vor Manipulationen sicher sei. Er zeigte 2004, dass simple Gegenmassnahmen - etwa wenn eine Person bei einem irrelevanten Reiz an etwas Bekanntes denkt - die Treffsicherheit der P300-basierten Tests um 75 Prozent herabsetzen. Rosenfeld arbeitet seit Jahren an einem P300-Test, der Manipulationen wirkungslos macht. Dieser soll nun unter realen Bedingungen getestet werden. Rosenfeld sagt, dass er damit rechne, der Forscherwelt in etwa fünf Jahren zeigen zu können, dass seine Methode zuverlässig sei.

John-Dylan Haynes vom BCCN ist jedoch skeptisch. Er ist zwar überzeugt, dass die EEG- und fMRI-basierten Verfahren der richtige Weg sind. Doch fehlten bis jetzt die wissenschaftlichen Beweise, dass die Methode in der realen Welt funktioniere. Das habe auch methodische Gründe, sagt er. Unter realen Bedingungen sei es praktisch unmöglich, das gemessene Ergebnis zu überprüfen, denn man könne nie sicher sein, ob die getestete Person gelogen habe oder nicht. «Man müsste die Methode während eines echten Strafprozesses testen und anhand des Urteils überprüfen, ob man richtig lag. Für einen solchen Versuch eine Erlaubnis zu bekommen, dürfte aber sehr schwer werden.»

Haynes hält es denn auch für sehr problematisch, dass Firmen völlig unerprobte Techniken anbieten. «Mag sein, dass sie selbst daran glauben, dass es funktioniert, jedoch müssen sie auch Experten davon überzeugen können.» Im laufenden Jahr will er deshalb gemeinsam mit Fachkollegen Qualitätsstandards definieren, die eine seriöse Firma erfüllen sollte. Dies wäre auch für die Gerichte eine gute Orientierung.




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