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Psychisch krank durch Dauerstress

Mathesius, Renate; Scholz, Wolf-Ulrich: Multimodale Stresskompetenz (MMSK)

Die Suche nach den Ursachen psychischer Erkrankungen beschäftigt die Forschung seit Langem. Verschiedene Hypothesen wurden dazu aufgestellt, in den 1960er-Jahren zum Beispiel ging man von einer Störung der Gehirnchemie aus. Geraten Botenstoffe aus dem Gleichgewicht? Spielen Hormone die Hauptrolle? Später entdeckte man die sogenannte Neuroplastizität, die Anpassungsfähigkeit des Gehirns. Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, die Synapsen, können sich neu bilden, aber auch verschwinden, Nervenzellen kommen hinzu oder sterben ab. Solche Prozesse laufen beim Lernen und Trainieren ab und sind völlig normal. Sie sind aber auch bei psychischen Erkrankungen von Bedeutung. Und es zeigte sich: Therapien können diese Prozesse nachweislich beeinflussen.

Ein noch kleiner und neuerer Bereich der Forschung ist die Psychoneuroimmunologie. Sie konzentriert sich auf die Rolle des Immunsystems bei der Entstehung psychischer Krankheiten und versucht, die älteren Ansätze miteinander zu verbinden. "Ursprünglich wurden das Gehirn und das Immunsystem als zwei getrennte Systeme betrachtet", erklärt Prof. Dr. Georg Juckel, Ärztlicher Direktor der LWL-Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin der RUB. "Man ging davon aus, dass das Gehirn vor Immunprozessen geschützt arbeitet und wenig mit dem Immunsystem zu tun hat. Das stimmt aber nicht." Es gibt einerseits direkte Nervenverbindungen vom Gehirn zu Organen des Immunsystems wie der Milz. Immunzellen wandern andersherum auch ins Gehirn ein, und lokale Immunzellen versehen dort vielfältige Aufgaben wie die Beseitigung defekter Nervenzellverbindungen. Und es gibt weitere Indizien für die Beteiligung des Immunsystems an Abläufen im Gehirn: Bei einigen psychischen Erkrankungen sind Immunparameter der Patienten charakteristisch verändert. Die Behandlung mit Immunbotenstoffen wie Interferon alpha, das zum Beispiel gegen Hepatitis C eingesetzt wird, führt bei 20 bis 30 Prozent der Patienten zu Depressionen.

 

Welche Mechanismen dabei wirken, untersucht die Arbeitsgruppe von Dr. Astrid Friebe am LWL-Klinikum im Labor (Abb. 1). Ihr Augenmerk richtet sich auf Mikrogliazellen. Diese immunkompetenten Zellen, die zu den Fresszellen gehören, haben im Gehirn normalerweise die Aufgabe, synaptische Verbindungen zu reparieren, defekte Verbindungen zu beseitigen und das Wachstum neuer Nervenzellen anzuregen. Darüber hinaus erfüllen sie verschiedene, teils noch nicht genau bekannte Stoffwechselaufgaben. Bei einer Bedrohung werden die Mikrogliazellen allerdings aktiviert und in einen zerstörerischen Zustand versetzt. In diesem aktiven Zustand bewirken sie einen Entzündungsprozess und schütten Botenstoffe aus, die Nervenzellen schaden. "Wir sehen das ganz deutlich bei Patienten mit Multipler Sklerose oder Alzheimer. Rund um die von Entzündungen oder dem Abbau von Nervenzellen betroffenen Hirnbereiche findet sich eine Art Kranz dieser Mikrogliazellen", beschreibt Georg Juckel. Bei Schizophreniepatienten (Info) ist die Anzahl der Mikrogliazellen im Gehirn verglichen mit gesunden Menschen deutlich erhöht. Hier führen die Zellen zu einem Abbau von synaptischen Nervenzellverbindungen. Diese wiederum bilden die sogenannte Graue Substanz, die bei Schizophreniepatienten verringert ist.

 

Die Aktivierung der Mikrogliazellen kann auch über das periphere Immunsystem erfolgen, also außerhalb des Gehirns. Hier kommt der Stress ins Spiel: Er ist ein wichtiger Faktor, der das Immunsystem beeinflusst. Akuter Stress regt das Immunsystem an. "Das ergibt auch Sinn", erläutert Astrid Friebe: "Der Körper macht sich in Stresssituationen bereit für Flucht oder Kampf, bereitet sich auch auf mögliche damit verbundene Verletzungen vor." Was aber passiert bei dauerhaftem Stress? "Fest steht, dass die Mikrogliazellen eine Art Gewöhnungseffekt zeigen. Je öfter sie durch Stress aktiviert werden, desto eher neigen sie dazu, in diesem Zustand zu bleiben. Erst dann werden die Mikrogliazellen für das Gehirn gefährlich." Dauerstress ist also ein wichtiger Risikofaktor für die Entstehung psychischer Erkrankungen.

 

Warum erkranken aber manche Menschen unter Dauerstress psychisch und andere nicht? "Wir vermuten, dass der Ursprung einer Anfälligkeit für Schizophrenie in der Embryonalzeit liegt", so Georg Juckel. Diese Vermutung geht auf eine große US-Studie aus den 1950er-Jahren zurück. Sie ergab, dass Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft eine echte Virusgrippe durchgemacht hatten, ein siebenfach erhöhtes Risiko hatten, später an Schizophrenie zu erkranken. Im Tiermodell konnten die Bochumer Forscher dies bestätigen. Sie fanden auch heraus, dass im jungen Erwachsenenalter besonders viele aktivierte Mikrogliazellen im Gehirn vorkommen, also genau in dem Alter, in dem die Schizophrenie am häufigsten ausbricht. "Was genau im Embryo passiert, wenn die Mutter an Grippe erkrankt, wissen wir nicht", sagt Astrid Friebe. "Der Embryo macht aber irgendeine Form von Immunreaktion durch, die weitreichende Folgen hat und wahrscheinlich das eigene Immunsystem vorprägt."

 

Zurzeit untersucht ihre Arbeitsgruppe die Details der zerstörerischen Wirkung der aktivierten Mikrogliazellen (Abb. 2). Welche Moleküle schütten sie aus, die für Nervenzellen schädlich sind? "Wir vermuten einen Bezug zu Stickstoffmonoxid, weil wir Hinweise gefunden haben, dass vermehrt Enzyme gebildet werden, die Stickstoffmonoxid-Verbindungen produzieren", sagt Astrid Friebe. Im nächsten Schritt müssten die Forscher dann in Zellkulturen nachweisen, dass an dieser Hypothese tatsächlich etwas dran ist.

Literatur zum Thema:
Multimodale Stresskompetenz (MMSK)
Mathesius, Renate; Scholz, Wolf-Ulrich




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