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Weggesperrt - Problem gelöst?

Spannung und Abstoßung zugleich: Gefängnisse üben nicht nur in Krimis, sondern auch im Alltag eine zwiespältige Faszination aus. Immer wieder kocht das Thema in den Medien hoch - "Gitterkäfige nach Massenschlägerei in der JVA Adelsheim" oder "Hungerstreik in Bruchsal" sind beispielhafte Schlagzeilen. Wie sind eigentlich in Deutschland die Therapiemöglichkeiten für Straftäter? Mit dieser Frage beschäftigte sich kürzlich das 1. Internationale Forensik-Symposium an der SRH Hochschule Heidelberg.

Prof. Dr. Niels Habermann, Studiendekan für Rechtspsychologie, und Oberpsychologierat René Cuadra, Leiter der Behandlungsabteilung der Justizvollzugsanstalt Offenburg, diskutierten die Situation in Baden-Württemberg:

In Belgien wurde kürzlich einem Sexualstraftäter der assistierte Suizid genehmigt. Er klagte darüber, dass er kein Therapieangebot erhalten habe und nun keinen anderen Ausweg sehe. Wo stehen wir in Deutschland mit den Therapiemöglichkeiten im Strafvollzug?

René Cuadra: In den vergangenen 15 Jahren sind in Deutschland viele Therapieplätze geschaffen worden. Diese Plätze gibt es im Regelstrafvollzug und in einer Spezialform des Strafvollzugs - der Sozialtherapie. Allen Sicherungsverwahrten ist gesetzlich ein Behandlungsangebot zu machen. Manchmal können nicht alle Behandlungsplätze belegt werden, denn nicht jeder nimmt das Angebot an, und wir können eine Therapie nicht erzwingen.

Niels Habermann: Neun von zehn Sexualstraftätern sind in Behandlung. Therapie bedeutet für sie oftmals zunächst viel Risikomanagement und Kontrolle, was nicht unbedingt dem Willen der Häftlinge entgegen kommt.

Wie kann man die Straftäter motivieren, das Behandlungsangebot anzunehmen?

René Cuadra: Therapie bedeutet Veränderung, und die wird auch von Menschen außerhalb der Mauern nicht immer freudig begrüßt, auch deshalb, weil man noch gar nicht weiß, auf was man sich da einlässt. Daher klären wir die inhaftierten Menschen darüber auf und sagen zum Beispiel, dass Therapie dazu beitragen kann, ein Leben mit mehr Selbstbestimmung und ohne Straftaten, ohne Gewalt und Drogen zu führen.

Niels Habermann: Wir müssen bei einer Ablehnung der Behandlung stärker am Ball bleiben und immer wieder dazu auffordern. Ich halte es für fadenscheinig, direkt nach der Ablehnung aufzugeben und zu sagen: Er wollte nicht.

Was brauchen wir, um die Justizvollzugsanstalten in ihrer Aufgabe zu stärken, die Straftäter auf ein Leben danach vorzubereiten und sie zu resozialisieren?

René Cuadra: Wir brauchen für bestimmte Gruppen von inhaftierten Menschen noch bessere Angebote, zum Beispiel für die chronisch Drogenabhängigen und für die Menschen mit der Kombination aus psychischer Erkrankung und Gefährlichkeit. Hier sind die Haftanstalten mit der derzeitigen Ausstattung noch überfordert. Auch sollten wir die Therapieangebote bei verschiedenen Deliktgruppen - Sexual-, Gewalt- und Betäubungsmittel-Delikte - landesweit noch besser verzahnen. Eine einzelne Haftanstalt kann nicht alles bieten.

Niels Habermann: Wir brauchen aber auch eine andere Einstellung seitens der Öffentlichkeit. Hier herrscht oftmals die Illusion Weggesperrt - Problem gelöst. Doch 99% der Häftlinge kommt eines Tages in Freiheit. Darauf müssen wir sie, aber auch die Öffentlichkeit vorbereiten. Zudem ist ein frischer Wind im System notwendig. Wir müssen es vereinfachen, Straftäter in andere Einrichtungen zu vermitteln, wo für sie das passende Behandlungsangebot besteht. Der Übergang zwischen Kliniken, Justizvollzugsanstalten, forensischen Ambulanzen oder dem Maßregelvollzug muss schneller möglich sein. Dafür mahlen aber die Mühlen bislang zu langsam.

Literatur zum Thema:
Gesundheit und Haft
Handbuch für Justiz, Medizin, Psychologie und Sozialarbeit
Lehmann, Marc; Behrens, Marcus; Drees, Heike (Hrsg.)




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