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Reha-Forschung: Mit Web 2.0 zu mehr Teilhabe

Rund 1500 Forscher und Praktiker diskutierten auf dem 22.Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium Anfang März in Mainz unter dem Titel "Teilhabe 2.0 - Reha neu denken?" über den Einsatz der neuen Medien in der Rehabilitation.

Die moderne Rehabilitation setzt mehr und mehr auf moderne Kommunikationstechniken. Schließlich ermöglicht das Web 2.0 neue Formen der Beteiligung. Menschen, die chronisch krank oder behindert sind, können darüber leichter am sozialen, kulturellen und beruflichen Leben teilhaben. Reha-Wissenschaftler forschen daher seit einigen Jahren, ob und wie Websites, Chatrooms und Smartphones die Rehabilitation bereichern könnten. Die aktuelle Forschungslage wurde jetzt Kongressthema: "Teilhabe 2.0 - Reha neu denken?" Mehr als 1500 Experten waren dazu Anfang März nach Mainz zum 22. Reha-Kolloquium gekommen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Deutsche Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften haben den Kongress, das bedeutendstes Forum der Reha-Forschung, dieses Jahr gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz veranstaltet.

Rehabilitation profitiert von der Interdisziplinarität der Forscher

Dr. Axel Reimann, Direktor der Deutschen Rentenversicherung Bund, präsentierte zur Eröffnung des Kolloquiums aktuelle Zahlen. Um rund 25 Prozent ist demnach die Zahl der bewilligten Reha-Leistungen von 2005 bis 2012 gestiegen. Die Alterung der Gesellschaft, das sich verändernde Krankheitsspektrum und die sich wandelnde Arbeitswelt werden die Rehabilitation in Zukunft herausfordern. Konzepte, die medizinische und berufliche Hilfen kombinieren, sind gefragt. Für viele Menschen gehört das Internet längst zum beruflichen und privaten Alltag. Die Nutzer können sich darüber unmittelbar in gesellschaftliche Diskurse einbringen und die öffentliche Meinung mit beeinflussen. Können die neuen Medien auch dazu beitragen, die Teilhabe von Rehabilitanden zu steigern? Am Austausch und der Erforschung dieser reha-spezifischen Fragen beteiligen sich Therapeuten und Fachärzte unterschiedlicher Disziplinen ebenso wie Psychologen, Sportwissenschaftler, Soziologen, Krankenhausmanager, Verwaltungsfachleute und Politiker.

Unsere Erfahrungen verändern die Zellen im Gehirn

Joachim Bauer, Professor an der Universitätsklinik Freiburg und einer der renommiertesten Hirnforscher Deutschlands, sprach zum Auftakt des wissenschaftlichen Programms über die Auswirkungen sozialer Erfahrungen auf die biologischen Systeme. Soziale Erfahrungen graben sich laut Bauer nicht nur in das Gedächtnis des Menschen ein, sondern formen auch seine Nervenzellen. Empirische Studien belegen bis ins Detail, wie das Gehirn das soziale Erleben wahrnimmt, bewertet und in biologische Signale verwandelt. Professor Bauer zeichnete die Signalketten nach, die ablaufen, wenn Menschen sich sozial anerkannt fühlen: Das Hirn speichert das, was als positiv und bereichernd erlebt wird. Wertschätzung und Anerkennung nähren die Motivationssysteme im Gehirn. Verwahrlosung und Vernachlässigung hingegen aktivieren die Stress-Gene. Langeweile und Monotonie lassen die neurologische Ausstattung sogar verarmen. Entscheidend ist aus Sicht der Hirnforschung die Qualität der sozialen Beziehung.

Die Qualität des menschlichen Kontaktes muss online fühlbar sein

Website, Smartphone und Chatroom können demnach die Reha-Behandlung bereichern, wenn sie gezielt eingesetzt werden. Manfred Beutel, ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, definierte in seinem Vortrag am zweiten Kongresstag dazu die möglichen Einsatzfelder: Über E-Mail und Website lassen sich im Vorfeld der Rehabilitation beispielsweise Ziele von Rehabilitand und Klinik abgleichen. Die digitale Vernetzung kann auch die Kommunikation zwischen den Reha-Einrichtungen verbessern. Als besonders erfolgversprechend bewertete Professor Beutel eine umfassende Online-Kommunikation beim Übergang in den Alltag nach einem stationären Aufenthalt. Denn die Online-Angebote im Reha-Kontext heben sich deutlich von den programmierten und automatisierten Angeboten im Internet ab: "Die Therapeuten begleiten im Rahmen der Reha-Nachsorge die medialen Angebote. Die Rehabilitanden spüren, dass eine reale Person dahintersteht."

Internet- und Computerspielsucht als neues Krankheitsbild in der Reha

Das Web 2.0, so Beutel weiter, ist zudem ein Thema der Rehabilitation selbst - etwa wenn Rehabilitanden über die dauernde Erreichbarkeit durch die neuen Medien klagen und für sich Grenzen finden müssen. Professor Mantel Beutel, Experte für Internet- und Computerspielsucht, erwartet zudem, dass sich die Reha in Zukunft deutlich häufiger mit dem Thema Web 2.0 als Verhaltenssucht beschäftigen werde: "Die zentralen Risikogruppen sind Jugendliche und junge Erwachsene. Etwa 12 Prozent von ihnen, so ein Ergebnis unserer Studien, beschäftigt sich exzessiv mit dem Internet; weitere drei Prozent erfüllen die Suchtkriterien und sind im Mittel acht bis elf Stunden täglich online." Sein Institut hat 2008 eine speziell darauf ausgerichtete Suchtambulanz eröffnet, die zwischenzeitlich als ambulante Reha für pathologisches Glücksspiel anerkannt ist.

Online-Therapeuten kommentieren wöchentlichen Blog-Beitrag

Ob und wie die Reha-Nachsorge mit Hilfe der neuen Medien gelingen kann, wird aktuell am Uniklinikum Mainz unter Leitung von Dr. Rüdiger Zwerenz erforscht: In einer laufenden randomisierten kontrollierten Studie werden 234 Rehabilitanden aus der Psychosomatik, Orthopädie und Kardiologie über 12 Wochen hinweg online begleitet. Die Patienten sind unter anderem eingeladen, ein Mal pro Woche schwierige Erlebnisse aus ihrem Arbeitsalltag in einem Webtagebuch zu schildern. Ein Psychologen-Team der Universitätsmedizin Mainz kommentiert die pseudonymisiert eingegangenen Einträge gemäß der supportiv-expressiven Therapie (SET) und vermittelt den Rehabilitanden darin neue Sichtweisen und Lösungswege für ihre beruflichen Probleme. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend: 83 Prozent der Studienteilnehmer aus der Interventionsgruppe schrieben während des Untersuchungszeitraums durchschnittlich sechs Beiträge, 13 Prozent von ihnen nur einen. "Wir schließen daraus, dass ein gewisser Patientenanteil zu einer anonymen, text- und internetbasierten Kommunikation bereit ist und davon profitieren kann", sagt die Psychologin und Online-Therapeutin Katharina Gerzymisch. Entscheidend sei, dass die Rehabilitanden auf die Nachsorge bereits während der stationären Reha vorbreitet werden und auch, dass der erste Online-Kommentar des Therapeuten stimmig ist. "Wenn der erste Kontakt gelingt, ist auch online eine stabile therapeutische Beziehung erreichbar und die Beziehungsmuster können gut herausgearbeitet werden", sagt Gerzymisch.




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