"Bisher sind wir davon ausgegangen, dass soziale emotionale Reize - insbesondere Wut - vom Gehirn automatisch verarbeitet werden", sagt Martin Mothes-Lasch aus Straubes Team. Schließlich könnten sie ein Hinweis auf eine potenzielle Gefahrenquelle sein, so der Erstautor der Studie weiter. Gefahren zu erkennen, gehöre zu den überlebensnotwendigen Fähigkeiten eines jeden Organismus. Auch der Mensch ist mit dieser Fähigkeit ausgestattet. "Spricht jemand in hörbar wütendem Tonfall zu uns, wird unser Gehirn in Alarmbereitschaft versetzt", erläutert Doktorand Mothes-Lasch. Das funktioniere allerdings nur, wenn wir nicht von visuellen Informationen abgelenkt sind.
In der Studie haben die Jenaer Psychologen Versuchspersonen verschiedene Begriffe hören lassen, die entweder von einer wütenden oder einer neutralen Stimme gesprochen wurden. Gleichzeitig bekamen die Probanden auf einem Bildschirm zwei verschiedene Symbole angezeigt. Während sie so schnell wie möglich zu entscheiden hatten, ob sie eine männliche oder eine weibliche Stimme gehört haben und ob das gesehene Symbol ein Kreuz oder ein Kreis war, wurde die Gehirnaktivität der Versuchspersonen mittels Kernspintomographie aufgezeichnet.
"Es zeigte sich deutlich, dass eine wütende Stimme eine deutlich höhere Aktivierung der Gehirnregion zur Folge hat, die für die Verarbeitung emotionaler Reize zuständig ist", sagt Mothes-Lasch. "Und zwar unabhängig davon, ob diese Stimme männlich oder weiblich ist." Offenbar habe die Stimmfärbung eine wichtige Signalwirkung. Zur Überraschung der Psychologen bleibt aber die Aktivierung dieser Gehirnregion komplett aus, wenn sich die Probanden beim Hören der Stimme auf die visuelle Aufgabe konzentrieren müssen. "Das hatten wir anders erwartet", betont Dr. Straube. Offenbar, so schlussfolgert der Psychologe, stoße die automatische Verarbeitung emotionaler Reize ab einer bestimmten Menge zu verarbeitender Informationen an ihre Grenzen. "Ist diese Kapazitätsgrenze erreicht, haben die visuellen Reize Priorität."
Gestressten Paaren bleibt also nur der Tipp, abzuwarten - bis der Partner die Zeitungslektüre beendet hat und wieder "ganz Ohr" ist.