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Kroatien: viel Korruption, wenig Recht

Kroatien proklamierte seine Unabhängigkeit vor 20 Jahren und erfreut sich inzwischen intensivierter Freundschaftsbekundungen aus Brüssel. Progressive Kräfte im Land hoffen, eine EU-Mitgliedschaft könne den nach wie vor hohen Level an Korruption und Menschenrechtsverletzungen zumindest senken. Kroatiens ehemaliger Premier Ivo Sanader sitzt seit Dezember 2010 in Österreich unter Bestechungsverdacht in Haft: Der ungarische Energiekonzern Mol habe ihn mit zehn Millionen Euro "honoriert"; im Gegenzug habe er den Magyaren gestattet, im kroatischen Energiekonzern INA etwa ein Drittel der Anteile günstig zu erwerben.

Sanader bestreitet jede Korruption und wehrte sich zunächst dagegen, in sein Heimatland ausgeliefert zu werden; dessen Justiz sei nicht imstande, ein rechtsstaatlich einwandfreies Gerichtsverfahren durchzuführen. Inzwischen hat Sanader sein Urteil revidiert und wartet auf seine Abschiebung nach Zagreb. Gleichzeitig recherchiert die österreichische Justiz nach wie vor, wieweit Sanader in die Skandale der Hypo Alpe Adria Bank involviert ist.

Während die Weltöffentlichkeit und Publizistik die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen in Jugoslawien primär nationalistisch motiviert sieht, wird immer deutlicher, dass hinter völkischen Parolen blanke ökonomische Egoismen als Triebkräfte agieren. Während des zweiten Weltkriegs kämpften Kroaten gegen Kroaten - und unter Titos jugoslawischer Herrschaft hielten die Verteilungskämpfe innerhalb wie zwischen den Volksgruppen an. In jugoslawischen Zuchthäusern saßen bis Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts - gemessen an der Bevölkerungszahl - mehr politische Gefangene als in der Sowjetunion; Folter war die Regel, oft mit tödlichem Ausgang.

Ökonomische Verteilungskämpfe zwischen den wohlhabenderen Ländern Slowenien und Kroatien einerseits sowie den eher unterentwickelten Ländern Serbien/Montenegro anderseits führten in den beiden nördlichen Regionen zu Sezessionsbewegungen, die zunächst keine Unabhängigkeit konkret ins Auge fassten. Erst verschärfte aggressive Umverteilungsbestrebungen aus Belgrad initiierten die slowenische und dann die kroatische Staatsgründung.

Der folgende fünfjährige Krieg lädierte die gesamte kroatische Gesellschaft. Die serbische Minderheit im Land, zuvor fast problemfrei akzeptiert, geriet unter Druck; Eigentum serbischer Familien wechselte unter oft ungeklärten und selten gerechten Umständen die Besitzer, Serben wurden in südliche Richtung mehr oder weniger freiwillig evakuiert. Korruption wurde auf allen Ebenen beinahe zur Regel. General Vladimir Zagorec, mit dem Waffeneinkauf für die neu gegründete kroatische Armee betraut, konnte das Waffenembargo unterlaufen - und energisch in die eigene Tasche wirtschaften.

Auch nach dem Krieg, bis Ende der 90er Jahre, blieb das flächendeckende Korruptionswesen erhalten. Erst nach dem Tod von Präsident Franjo Tudjman 1999 drehte sich in Kroatien das Blatt allmählich in Richtung Strafverfolgung; Zagorec beispielsweise wurde wegen seiner Waffen-"Provisionen" 2008 in Zagreb zu siebenjähriger Haft verurteilt - mit Balkan-typischen Konsequenzen: Die Tochter seines damaligen Anwalts starb wenig später an den Folgen zweier Schussverletzungen. Und der entscheidende Belastungszeuge Ivo Pukanic verbrannte nach der Explosion einer Autobombe.

Der Staatsanwaltschaft im österreichischen Klagenfurt liegen Anzeigen vor, denen zufolge der Exgeneral in Nachkriegszeiten mit Immobiliengeschäften die Hypo Alpe Adria Bank um mehr als 100 Millionen Euro geschädigt haben soll. Er selbst äußert sich dazu nicht.   

Amnesty International und EU-Beobachter sehen zwar erste Erfolge in Richtung Rechtsstaat. Die Massenmedien im Land betreiben eine (auflagenstabilisierende) Jagd auf kleine bis große, angebliche oder wirkliche Korruptionsfälle im Land. Diese erhöhte Aufmerksamkeit führt u.U. zu dem Eindruck, dass das Problem eher zu- als abnimmt, diagnostiziert PD Dr. Angelos Giannakopoulos (Projektleiter der EU-Forschungsprojekte "Crime and Culture" an der Universität Konstanz).

Der Soziologe sieht in der kroatischen Gesellschaft vormoderne Muster sozialen Verhaltens: Es wird in Großfamilien bzw. Gruppen gedacht und gehandelt, Freundschaftsdienste im eigenen Bereich werden nicht als Korruption wahrgenommen - wohl aber, und zwar umso greller, in anderen Gruppen.

Analog führte Tudjman das Land bis 1999 autoritär - wie eine überdimensionierte Großfamilie - mit einem System von Beziehungen und Abhängigkeiten, die sich außerhalb juristischer Normen befanden. Diese Machtstrukturen sind zum Teil bis heute erhalten und kaum an einer Änderung ihrer alten wie neuen Privilegien interessiert. Giannakopoulos und andere Beobachter sehen daher als entscheidenden Motor in Richtung Rechtsstaatlichkeit eine Justiz, der zwar rechtsstaatliche Tradition und reichliche Personalausstattung fehlen, jedoch achtbare erste Erfolge zu verdanken sind. Die - wenn auch noch immer problematische - Zusammenarbeit mit dem internationalen Gerichtshof in den Haag belegt dies.

Professor Dr. Goran Opacic und Kollegen (Belgrad) haben die Situation von Vertriebenen im ehemaligen Jugoslawien untersucht: In Kroatien ging zwischen 1993 und 2009 die Zahl von etwa 631.000 auf 4.000 zurück. Opacic und Kollegen sind von ihrem eigenen Befund überrascht: Wer in seinem Herkunftsort eine Bleibe und ein Auskommen findet, ist fast immer dorthin zurückgekehrt. Nationalität, Traumatisierungen, persönliche Feindschaften, fortbestehendes Unrecht spielen kaum eine Rolle. Fast immer gibt die alltägliche materielle Grundlage den Ausschlag. Damit hat das zunächst virulente Flüchtlingsproblem seine destabilisierende Sprengkraft verloren, auch wenn es hier an rechtlich sauberen Regelungen nach wie vor fehlt.

 

Literatur zum Thema:
Korruption – Forschungsstand, Prävention, Probleme
Kliche, Thomas; Thiel, Stephanie (Hrsg.)




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