NEWSBÜCHERJOURNALEONLINE-SHOP



 

Sie befinden sich hier: NEWS » Aktuelle News Psychologie » News lesen

« zurück

Traumatisierte Kinder: oft unerkannt und unbehandelt

Traumatisierte Kinder speichern ihre Verletzungen in Bildern ab, die dem Reflex auf einem zerbrochenen Spiegel ähneln. "Traumatisierte Kinder neigen dazu, ihre schlimmen Erlebnisse in einer äußerst repetitiven Art immer wieder zu spielen, und wirken dabei meist völlig distanziert oder abgespalten vom Erlebten bzw. Gespielten." Andrea Gallasch-Stebler berichtet in ihrer Monografie "Nächste Station Erde" anschaulich und allgemeinverständlich über die Symptomatik und modernen Behandlungsmöglichkeiten traumatisierter Kinder. Die Psychotherapeutin stellt ihre Erfahrungen und den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht nur KollegInnen zur Verfügung; v.a. sollen involvierte Fachkräfte aus der Pädagogik und der sozialen Arbeit für eine Kooperation gewonnen werden.

Häufig werden - auch schwere - Traumata nicht als solche wahrgenommen und bleiben daher unbehandelt; die Symptomatik ist oft schwer interpretierbar und widersprüchlich. "Ein junger traumatisierter Patient von mir konnte sich z.B. regelmäßig nicht erinnern, was er am Vortag erlebt hatte, und vergaß deshalb auch permanent Dinge, die er erledigen sollte. Dafür wurde er nicht nur häufig getadelt, sondern er machte sich selbst auch ständig Vorwürfe, ohne etwas an der Situation ändern zu können.
 
Langdauernde und manchmal auch einmalige Schreckenserlebnisse können im Angstzentrum des sog. emotionalen Hirns (Amygdala) Spuren hinterlassen, die durch willentliche Absichten und auch eine Dekonditionierung (repetierte Konfrontation mit der Angst) nur bedingt beeinflussbar sind. Nicht behandelte Angstreaktionen können jederzeit, auch Jahre später durch manchmal geringfügige Anlässe wieder aktiviert werden. Es ist erwiesen, dass langdauernde traumatische Ereignisse zu einer Verkleinerung des Hippocampus und zu einer Überaktivierung der Amygdala führen. In ganz schweren Fällen von traumatisierten Kindern wurde ein deutlich verringertes Hirnvolumen nachgewiesen. Dies gilt umso mehr, je früher und je massiver die Traumatisierungen stattfanden.
 
Der Hippocampus ist u.a. zuständig für Planung, Einfühlung, Hemmung, Umgang mit Stress, Organisation, Motivationsaufbau, das Abspeichern und die Erinnerung, und er produziert stimmige Gesamtbilder oder -narrative. Man kann sich also vorstellen, welche Folgen langdauernde Traumatisierungen für betroffene Menschen haben. Umso mehr, als die Amygdala, einfach ausgedrückt, sehr schnell und oft die Regie übernimmt, vor allem dann, wenn sich traumatisierte Menschen aufgrund von Triggern bedroht fühlen. Das ist vergleichbar mit einer Alarmanlage, die falsch eingestellt ist und beim geringsten Geräusch oder der geringsten Bewegung aktiviert wird. Häufig ist in solchen Momenten auch der Zugang zur Sprache blockiert. Die Menschen können weder genau beschreiben, was sich abspielt, noch auf vernünftig gemeinte, sprachliche Ratschläge reagieren," formuliert Gallasch-Stebler. Ein traumatisiertes Kind registriert alles Neue und jede Aufregung als potenziell schädlich. Kaskaden überflüssiger chemischer Stoffe drängen auf das Schlachtfeld, um einen Krieg zu führen, den es nicht gibt.
 
Da sich das Hirn jedoch flexibel und nutzungsorientiert  entwickelt, können neue, positive Erfahrungen in einem geschützten Raum in einer langsamen Geschwindigkeit und mit retardierenden Momenten heilsam wirken. Psychotherapie, Pädagogik, soziale Arbeit können in je anderer Weise komplementär Entscheidendes dazu beitragen.

Nächste Station Erde – Langzeittherapie eines schwer traumatisierten Kindes in Praxis und Theorie
Gallasch-Stebler, Andrea




alttext    

 

Aktuell

Socials

Fachzeitschriften