Häufig werden - auch schwere - Traumata nicht als solche wahrgenommen und bleiben daher unbehandelt; die Symptomatik ist oft schwer interpretierbar und widersprüchlich. "Ein junger traumatisierter Patient von mir konnte sich z.B. regelmäßig nicht erinnern, was er am Vortag erlebt hatte, und vergaß deshalb auch permanent Dinge, die er erledigen sollte. Dafür wurde er nicht nur häufig getadelt, sondern er machte sich selbst auch ständig Vorwürfe, ohne etwas an der Situation ändern zu können.
Langdauernde und manchmal auch einmalige Schreckenserlebnisse können im Angstzentrum des sog. emotionalen Hirns (Amygdala) Spuren hinterlassen, die durch willentliche Absichten und auch eine Dekonditionierung (repetierte Konfrontation mit der Angst) nur bedingt beeinflussbar sind. Nicht behandelte Angstreaktionen können jederzeit, auch Jahre später durch manchmal geringfügige Anlässe wieder aktiviert werden. Es ist erwiesen, dass langdauernde traumatische Ereignisse zu einer Verkleinerung des Hippocampus und zu einer Überaktivierung der Amygdala führen. In ganz schweren Fällen von traumatisierten Kindern wurde ein deutlich verringertes Hirnvolumen nachgewiesen. Dies gilt umso mehr, je früher und je massiver die Traumatisierungen stattfanden.
Der Hippocampus ist u.a. zuständig für Planung, Einfühlung, Hemmung, Umgang mit Stress, Organisation, Motivationsaufbau, das Abspeichern und die Erinnerung, und er produziert stimmige Gesamtbilder oder -narrative. Man kann sich also vorstellen, welche Folgen langdauernde Traumatisierungen für betroffene Menschen haben. Umso mehr, als die Amygdala, einfach ausgedrückt, sehr schnell und oft die Regie übernimmt, vor allem dann, wenn sich traumatisierte Menschen aufgrund von Triggern bedroht fühlen. Das ist vergleichbar mit einer Alarmanlage, die falsch eingestellt ist und beim geringsten Geräusch oder der geringsten Bewegung aktiviert wird. Häufig ist in solchen Momenten auch der Zugang zur Sprache blockiert. Die Menschen können weder genau beschreiben, was sich abspielt, noch auf vernünftig gemeinte, sprachliche Ratschläge reagieren," formuliert Gallasch-Stebler. Ein traumatisiertes Kind registriert alles Neue und jede Aufregung als potenziell schädlich. Kaskaden überflüssiger chemischer Stoffe drängen auf das Schlachtfeld, um einen Krieg zu führen, den es nicht gibt.
Da sich das Hirn jedoch flexibel und nutzungsorientiert entwickelt, können neue, positive Erfahrungen in einem geschützten Raum in einer langsamen Geschwindigkeit und mit retardierenden Momenten heilsam wirken. Psychotherapie, Pädagogik, soziale Arbeit können in je anderer Weise komplementär Entscheidendes dazu beitragen.
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Gallasch-Stebler, Andrea