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Nachruf auf Hans-Wolfgang Hoefert

Professor em. Dr. Hans-Wolfgang Hoefert

Professor em. Dr. Hans-Wolfgang Hoefert ist in seinem 70sten Lebensjahr in Berlin gestorben.

Es ist nicht einfach, einen Nachruf zu schreiben.

In der Regel wird von ihm erwartet, dass das Nachwort die Form einer auch schon in sich würdevollen, wohltemperierten Jubelrede findet.

Derjenige, dem der Nachruf gilt, war dann ein überragender Forscher und Kollege, stets von allen ansprechbar, einer, der die sozialen Belange nicht aus den Augen verlor, etwas, das in unseren Zeiten gar nicht mehr so einfach zu bewerkstelligen ist, ein großherziger Mensch, der dennoch unbestechlich und kritisch die wissenschaftliche Diskussion führte, ein international anerkannter Forscher, etc.

Diejenigen, die einen derartigen Nachruf lesen, wissen natürlich, wie tendenziell hohl diese Worte sind, wie mit ihnen nicht nur umfassend retuschiert wird, wie alle negativen Aspekte einer bestimmten Person ausgeklammert bleiben, sondern auch in der Haltung einer vermeintlichen Ehrerbietung gegenüber der Person, der der Nachruf gilt, von Seiten des Nachrufenden sich genau die Denunziation ankündigt.

Derjenige, der den Nachruf verfasst, wendet empört ein: Angesichts des Todes habe man nicht mehr etwas Böses sagen wollen. Natürlich wüssten doch alle, dass der Tote kein einfacher Mensch gewesen sei, von seiner fragwürdigen Forschung ganz zu schweigen. Aber nun ja: Schwamm drüber.

Die Lebenden und Nachrufenden können sich so nun endlich an den Toten rächen. Diese haben nichts mehr zu sagen. Der Widerspruch entfällt. So will der Nachrufende als der letzte gütige und großzügige Richter erscheinen. Allein - er ist ein infamer Despot, der in der Abwesenheit des zu Würdigenden mit der Retuschierung den Toten nochmals tötet, um magisch sicher zu sein, ihm niemals mehr begegnen zu müssen.

Gefahr laufend, exakt dieser Retuschierung bezichtigt zu werden, möchte ich fortfahren: Genau diese Ehrerbietung, diese Form der Würdigung hätte Wolfgang nie gewollt. Dazu war er zu nüchtern und zu wenig selbstgefällig. Selbstgefällig zu sein, ist nichts Schlimmes. Alleine ihre Überhöhung macht den Eitlen zum Opfer seiner Eitelkeit. Davon war Wolfgang weit entfernt. Als wir uns das letzte Mal trafen, sagte er, er sei froh, wenn er seinen 70. Geburtstag noch erreichen könne. Er sprach nicht von seinem 80. Mit seinen beruflichen Leistungen war er nie so richtig zufrieden. Aber vermutlich war diese Unzufriedenheit ein Motiv dafür, die Dinge immer und immer besser zu machen.

Ich versuche, die Retuschierung zu vermeiden, indem ich mich an die Tugend der Wahrhaftigkeit halten möchte, keiner brutalen, aber einer dezenten, einer aushaltbaren. Wer nur schön redet, verwischt das Bild desjenigen, um den es angeblich gehen soll. Es ist damit eine Vernichtung, eine nachträgliche.

Ich, der ich sonst alle, wie mir scheint, wichtigen biographischen Daten meiner Freunde im Kopf habe, weiß über Wolfgang Hoefert wenig. Ich traute mich nicht, danach zu fragen. Dazu definierten wir unsere Begegnungen zu sehr auch unter der Rubrik Kollegen.

Sein Jahrgang müsste stark von den Folgen des Nationalsozialismus stark beeinflusst worden sein, auf welche Weise auch immer. Doch hierzu sagte er nichts.

Zu vermuten war nur, dass seine überzeugt liberale Haltung, die sich in der uneingeschränkten Zustimmung zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und liberaler Wirtschaftspolitik ausdrückte, eine Reaktion auf den Nationalsozialismus darstellte. Während viele seiner Kolleginnen und Kollegen in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts für ca. 10 Jahre am Neomarxismus festhielten und ihn vehement verfochten, hatte Wolfgang für eine derartige Ersatzreligion wenig Sympathie. In diesen Jahren war es nicht einfach, sich dem neomarxistischen Mainstream an deutschen Hochschulen zu verweigern. Er wurde damit in gewisser Weise zu einem akademischen Außenseiter. Außenseiter zu sein, war für ihn nicht angenehm, aber auch nicht intolerabel. Es gehörte zu seinem eisernen Charakter, dies zu ertragen. Er war nicht unbeirrbar, aber stur geradeaus.

Dafür, wie er arbeitete und wie viel er arbeitete, dafür könnte er einen Preußen genannt werden. Gewissenhaft, ein Arbeitstier, einer, der mehr arbeitet als drei andere, der aber darüber nicht klagt und sich nicht einmal rühmt, dieses zu tun. Zu arbeiten, viel zu arbeiten, war für ihn selbstverständlich.

Hier könnte sich der Preuße mit dem Protestanten kreuzen, denn entsprechend der protestantischen Ethik (Max Weber) ist jegliche Form von Müßiggang und Zeitverschwendung untersagt. (Ich weiß nicht einmal, ob Wolfgang der evangelischen Kirche angehörte, oder ob er im Sinne der protestantischen Ethik erzogen worden ist).

Preuße und Protestant zu sein, hinderte ihn nicht daran, auch ein Genießer zu sein.

Als ich Wolfgang Hoefert kennen lernte, war er Gast der wöchentlichen Sitzung des Lehrgebiets Persönlichkeitspsychologie des Institutes für Psychologie der TU Berlin. Irgendein Forschungsprojekt sollte auf den Weg gebracht werden. Wolfgang eilte der Ruf voraus, energisch praxisorientierte Forschungsprojekte initiieren und umsetzen zu können. Er galt als Mann der Tat. Ein bisschen ehrfürchtig wurde von ihm berichtet, zahlreiche Kontakte ihm nachgesagt.

Was macht dieser Mann der Tat, als er ein wenig zu spät eingetroffen ist. Er eilt mit einem Kollegen von uns zu dessen Zimmer, um ganz wichtige und selbstredend unerwartbare Telefon-Gespräche zu führen, führen zu müssen. So war ersichtlich, dass Wolfgang das Talent für den guten Auftritt hatte. Diese Szene festigte den Eindruck, dass er so was wie ein Forschungsmanager sein musste. In der Abteilung Persönlichkeitspsychologie musste niemals jemand ganz dringende Anrufe tätigen. Wir waren aus der Zeit, Wolfgang in dieser.

Und tatsächlich hat Wolfgang unglaublich viele Projekte initiiert. Es war sein großes Talent, es war eines seiner großen Talente, die Wissenschaft mit der Praxis zusammenzuführen. Ich selbst beteiligte mich an einem Projekt zur psychotherapeutischen Betreuung von deutschen Patienten mit Hauterkrankungen, die in Israel am Toten Meer in Reha waren, und an einem Projekt zur Wirksamkeitsüberprüfung von Heilverfahren der Traditionellen Chinesischen Medizin in Bad Füssing.

Auf einem Flug mit etlichen Turbulenzen nach Tel Aviv, es war im Jahr 1997, erzählte er mir, wie wichtig es sei, sich bei einem Flug in sich zurückziehen zu können, gleichsam verschwinden zu können. Das tat er dann auch. Für vier Stunden war er gleichsam nicht mehr gesehen. Er saß neben mir.

In Jerusalem besuchten wir die Hadassah-Universität, die ein Kooperationspartner bei der Behandlung von Hauterkrankungen am Toten Meer war. Wir fuhren ein wenig zu spät los und hörten kurz vor uns die Detonation einer Bombe, die terroristische Palästinenser in einem Bus gezündet hatten. An der Universität angelangt, wurden die Toten und Verletzen gerade herein getragen. Bei der Besprechung fiel kein Wort über das Attentat. Als wir zurück fuhren und auf der gesamten Reise fiel kein Wort Wolfgangs, von mir und den zwei Diplom-Psychologinnen über den Vorfall. Wir hätten alle verletzt oder tot sein können. Nur Helena, eine der beiden Psychologinnen, teilte mir vor dem nahen Rückflug mit, sie habe geträumt, wir würden mit einem Doppeldecker-Flugzeug abstürzen. Wir flogen mit einer 747 und kamen in Berlin trotzdem an. Jenseits der Gruppen-Dynamik, für die offenbar alle vier Beteiligten verantwortlich waren, war es trotzdem kennzeichnend für Wolfgang, dem Risiko die Stirn zu bieten - als Selbstverständlichkeit. Möglicherweise war das sein Rollenbild als Mann: an die Grenze zu gehen und diese zu überschreiten.

Dann sind zwei Packungen Zigaretten am Tag nichts. Warum auch? Als wir uns zu einem Arbeits-Gespräch an einem Freitag-Mittag  trafen, trank er zu dem Essen zwei Gläser Wein und fuhr dann möglichst mit 200 km / h nach München, um dort das Wochenende einen Workshop zu leiten. Ich kroch an diesem Freitag um 15.00 Uhr ins Bett, um am Montag wieder arbeiten zu gehen.

Bei unserem Israel-Besuch 1997 bemerkte ich zum ersten Mal seine körperlichen Grenzen. Nach Masada fuhr eine Seilbahn zum Wipfel. Es war auch möglich zu gehen. Die beiden Psychologinnen und ich wanderten nach oben. Er nahm die Seilbahn. Das Leben auf der Überholspur hatte erste sichtbare Wunden hinterlassen.

Ach ja, die Referenten-Tätigkeit. Für wen nicht alles war er Trainer? Für wen nicht alles machte er Fortbildungen? Zahllose für den VDR. Für Ärzte. Wie schaffte er das nur? An einigen nahm ich auch als Co-Trainer teil, und dann wurde mir klar, dass der Preis der Menge in der Redundanz lag. Aber seine Resonanz bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern war beeindruckend gut. Er war ausgebucht.

Dann kam das Ereignis, das für einen Menschen, der regelmäßig mit seiner Stimme arbeitete, eben auch als Hochschullehrer, extrem einschneidend war. Durch Krankheit und zahlreiche Operationen verlor er ein Gutteil seiner Stimme. Mit den Trainings und den Vorlesungen war es vorbei.

In einem der wenigen Augenblicke, in denen Wolfgang emotional wurde, teilte er mit, dass er ohne die Existenz seiner Familie und ihren Zuspruch die schrecklichen Torturen der Operationen mit einem eigenen Schnitt beendet hätte.

Was macht ein Mann, dem die Stimme verlustig gegangen ist. Er wird zum "Buchmacher". So hat er sich selbst genannt.
Ich weiß nicht, ob es in Deutschland einen anderen Menschen gibt, der auf so vielen Gebieten, so breit, veröffentlicht hat - mit seiner unglaublichen Fähigkeit, sich in so viele Gebiete einzuarbeiten in so schneller Zeit. Ab und zu hatte er parallel fünf Buchprojekte.

Ein Herausgeber ist so etwas wie ein Dompteur. Es ist ein harter Job. Wolfgang beherrschte ihn unglaublich gut. Jedes Mal, wenn ich eine Mail von ihm bekam, dachte ich, verdammt, ich liefere meinen Text schon wieder verspätet ab. Er schrieb so freundlich wie unerbittlich - eine Kunst der Balance.
Dabei sind geniale Werke heraus gekommen wie "Lexikon der modernen Erkrankungen" (zusammen mit Elmar Brähler) oder "Schwierige Patienten" (zusammen mit Härter), ein Buch, das es so noch nicht gegeben hat, oder so originelle und innovative wie "Gesundheitszwänge" (zusammen mit mir). Nur wenige seiner Bücher sind eher weniger relevant.

Der Preuße Hoefert bedeutet aber auch, dass er sich in seinen eigenen Texten wenig hervorwagt. Er ist ein Innovator und Dissident in der Wahl seiner Themen, aber beim Schreiben seiner eigenen Beiträge hält er sich zurück.

Habe ich etwas vergessen? Er war auch Mitgründer und langjähriger Mitherausgeber von "psychomed", einer hoch interessanten Zeitschrift, die erfolgreich die Brücke zwischen der Medizin und der Psychologie schlagen wollte und schlug.
Ich habe sicherlich vieles vergessen, was Wolfgang getan und geleistet hat, aber von Wolfgang einfach auch nicht alles gewusst.  An seinem 69. Geburtstag schwebte er durch die Räume seiner Wohnung, als ob er bereits verschwunden wäre. Es war wie auf dem Flug nach Israel.

Ich trauere sehr um meinen Freund und Kollegen Hans-Wolfgang Hoefert, um den Preußen, den Protestanten und Genießer.

Christoph Klotter




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